Siegeln, Siegeln, Siegeln!

Siegelung: strafprozessuale Notbremse – Auch wenn die meisten Leute und Unternehmen davon nicht betroffen sind, ist es doch ein sehr wichtiger strafprozessualer Ratschlag, sollten Sie einmal betroffen sein!

Hausdurchsuchung – strafprozessualer Vorschlaghammer!

Eines der mächtigsten Mittel im Strafprozess ist die Hausdurchsuchung nach Art. 244 f. der schweizerischen Strafprozessordnung (StPO). Die Hausdurchsuchung gehört zu den Zwangsmassnahmen gemäss Art. 196 ff. StPO. Voraussetzungen für eine solche Massnahme sind nach Art. 197 StPO eine gesetzliche Grundlage (betr. Hausdurchsuchung eben Art. 244 f. StPO), ein hinreichender Tatverdacht sowie die Einhaltung des bei staatlichem Handeln allgemein gültigen Grundsatzes der Verhältnismässigkeit (Art. 5 Abs. 2 Bundesverfassung, BV). Letzteres bedeutet in concreto, dass eine Massnahme in Hinblick auf den strafprozessualen Zweck notwendig und geeignet sein muss und in Bezug auf den möglichen Straftatbestand nicht unverhältnismässig, also übertrieben sein darf. Praktisch muss es wahrscheinlich sein, dass man in der Wohnung bzw. im Unternehmen Informationen findet, die bei der Aufklärung der mutmasslichen Strafsache dienlich sein können. Dies ist nach meiner Erfahrung praktisch immer der Fall. Bis auf einen Fall wurden alle meine Anträge auf Hausdurchsuchung in den oft durchgeführten Strafprozessen im Immaterialgüterrecht (s. dazu digilaw.ch 08.10 Rechtsschutz im Immaterialgüterrecht) immer gutgeheissen. Die prozessuale und faktische Hürde für diese Zwangsmassnahmen ist also m.E. sehr gering.

Siegelung – strafprozessuale Notbremse

Gemäss Art. 248 StPO müssen die Strafbehörden Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen (z.B. Anwaltsgeheimnis, Geschäftsgeheimnis) nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, von Amtes wegen versiegeln und dürfen jene weder einsehen noch verwenden, bis ein Zwangsmassnahmengericht auf Antrag der Strafbehörde darüber entschieden hat. Dieser Entscheid kann bis vor Bundesgericht gezogen werden. Da ein solcher Instanzenzug relativ viel Zeit in Anspruch nehmen kann, gibt die Siegelung dem bzw. der Beschuldigten ebenfalls ein mächtiges Mittel in die Hand, mit der Staatsanwaltschaft über den Umfang der Einsicht in die beschlagnahmten Informationen zu verhandeln. Praktisch wichtig ist ebenfalls, dass auch ein allfälliger Kläger, eine allfällige Klägerin während einer Sieglung keinen Einblick in die nämlichen Informationen erhält. Auch wenn die Siegelung eigentlich von Amtes wegen vorgenommen werden müsste, ist es wichtig, dass Sie einen entsprechenden Antrag vor Ort selbst stellen. Idealerweise kontaktieren Sie bereits bei der Hausdurchsuchung eine Rechtsanwältin bzw. einen Rechtsanwalt (Rechtsanwälte/innen finden Sie z.B. hier: www.sav-fsa.ch/Anwaltssuche), die bzw. der allenfalls sogleich vor Ort kommen kann oder Sie mindestens per Telefon beraten und/oder mit der Polizei sprechen kann.

Wenn es morgens um 6 Uhr an der Tür klingelt …

Wenn es also morgens um 6 Uhr klingelt – Hausdurchsuchungen finden häufig um diese Zeit statt – und die Polizei steht mit einem Hausdurchsuchungsbefehl vor der Tür, sagen Sie zuerst «Guten Morgen, das ist aber eine Überraschung» (Kooperation ist i.d.R. eher günstiger, als Opposition ;-)) und dann aber so bald als möglich «Siegeln, Siegeln, Siegeln!». Achten Sie auch darauf, dass der Antrag auf Siegelung im Polizeiprotokoll, das Ihnen evtl. zur Unterschrift vorgelegt oder mindestens abgegeben wird, explizit erwähnt wird.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.hslu.ch, www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch, www.intla.ch, www.twitter.com/juristenfutter

Irreführendes «Monatsabo» beim Passepartout Luzern, Ob- und Nidwalden?

Heute hat mich ein irritierter Fahrgast der Zentralbahn kontaktiert. Dieser hat ein «Monatsabo» des Tarifverbunds Passepartout (öffentlicher Verkehr, ÖV, der Kantone Luzern, Ob- und Nidwalden). Das Abo ist gültig ab 30. April 2022. Heute, 30. Mai 2022 wurde der Fahrgast durch die Ticket-Kontrolle angehalten und gebüsst, da das Abo gestern, 29. Mai 2022 abgelaufen sei. Effektiv steht auf dem Abo «Gültig bis: 29.05.2022». Der Fahrgast hat mich nun angefragt, ob das nicht irreführend sei. Die Antwort habe ich in Art. 142 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) gefunden, und zwar in der Regel, wie in Zivilprozessen Monatsfristen berechnet werden. Gemäss Art. 142 Abs. 2 ZPO endet eine Monatsfrist im kommenden Monat an dem Tag, der dieselbe Zahl trägt, wie der Tag, an dem die Frist zu laufen begann. Das wäre hier also der 30. Mai 2022 und nicht, wie auf dem Abo angegeben, der 29. Mai 2022. Der hier verwendet Begriff «Monatsabo» ist also, mindestens wenn man die ZPO-Regel analog anwendet, irreführend. Der Fahrgast wird dies nun dem Tarifverbund Passepartout so kommunizieren. Mal schauen, wie dieser reagiert …

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch, www.intla.ch

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Rechtsanwalt und der Rechtsdozent

Quelle: BUNTE 08.10.2020

In meiner über 20-jährigen Tätigkeit als Rechtsanwalt habe ich regelmässig Klienten und Gegenparteien versucht von einer gütlichen Einigung (jur. «Vergleich») zu überzeugen. Ab und zu ist das gelungen, häufiger beharrten die Parteien aber auf ihren Standpunkten und stürzten sich in mehrjährige gerichtliche Auseinandersetzungen. Vor kurzem habe ich sogar entnervt in einem über 6-jährigen (sic!), sinnlosen Rechtsstreit das Mandat niedergelegt. Nun hat es Katrin Sachse, stv. Chefradakteurin bei der BUNTE, in ihrer aktuellen Kolumne «Small Talk» auf den Punkt gebracht und stellt fest: In einem Familienstreit in einem Lebensmittelkonzern sind die einzigen Gewinner die Anwälte, die schon Millionen an Honorare kassiert haben; und Jura-Professoren, die damit einen neuen Musterfall für eine verpfuschte Unternehmensnachfolge erhalten. Exakt so ist es. Auch wenn ich (leider) in meinen Fällen keine Millionen an Honorare kassiere, sind gerade Gerichtsfälle lukrativ. Denn, wenn die Klienten einmal in der Gerichts-Pipeline drin sind, gibt es finanziell kein Entrinnen mehr. Zudem machen Fälle aus der eigenen Praxis meinen Unterricht an der Hochschule besonders lebendig. Und, natürlich spreche ich mit meinen Studierenden auch über alternative Methoden der Streitbeilegung (Alternative Dispute Resolution), die ich, gerade wegen diesen Erfahrungen, sehr empfehle! Die Details dazu finden Sie in meinem Online-Teaching-Tool digilaw.ch: Dispute Resolution und Rechtsdurchsetzung in der digitalen Welt.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.schneiderfeldmann.legal, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch

Aktualisiert am 19. Oktober 2020

Ist Staatsanwaltschaft hundefeindlich?

Rechtsanwalt Ueli Grüter mit seiner Hündin (Foto Eveline Beerkircher)

Rechtsanwalt Ueli Grüter übt Kritik wegen Biss-Vorfällen im Kanton Aargau. Für Ueli Grüter besteht oft kein Bedürfnis, nach einem Beissvorfall strafrechtliche Massnahmen vorzunehmen.

von Nora Güdemannaz Aargauer Zeitung

Im Freiamt soll ein kleiner Hund, keine 30 Zentimeter hoch, eine Joggerin angefallen und ihr in den Hintern gebissen haben. Die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten verfügte gegen die Hundehalterin einen Strafbefehl mit Geldstrafe und Busse von über 1600 Franken, dazu kam ein Eintrag im Strafregister. Wenn sich die Parteien nicht einigen sollten, landet der Fall beim Bezirksgericht Muri.

Die Hundehalterin wird von Anwalt und Hochschuldozent Ueli Grüter vertreten. Er ist selbst Halter eines Mops und mit dem Vorgehen der Staatsanwaltschaft gar nicht einverstanden. Grüter, der als Rechtsexperte immer wieder in den Medien auftritt und einen eigenen Blog führt, hat im Kanton Aargau eine «Häufung von juristisch unhaltbaren Strafverfahren gegen Hundehalter» beobachtet. «Die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten verurteilt meine Klientin pauschal, ohne ihr irgendein konkretes Fehlverhalten vorzuwerfen», sagt er.


Beitrag zum Thema: Strafbefehl – Unbedingt Einsprache erheben!


Ausserdem sei es für ihn unerklärlich, wie ein so kleiner Hund einer Joggerin ins Hinterteil beissen könne. «Und ich frage mich, was meine Mandantin, sollte ihr Hund tatsächlich gebissen haben, dagegen hätte tun können», sagt Grüter. Er habe den Eindruck, dass die Staatsanwaltschaften juristisch unbegründet Hundehalter in die Zange nehmen.

Dazu nennt er zwei weitere Beispiele aus dem Aargau: Vor dem Bezirksgericht Kulm stand kürzlich ein Mann, dessen Hund in einem Restaurant auf einen anderen losgegangen und ihn gebissen haben soll. Beweise dafür gab es jedoch nicht, der Hundehalter wurde freigesprochen. Das Bezirksgericht Brugg verhandelte den Fall einer jungen Frau, deren Hund sich von der Leine losgerissen und ein Reh attackiert hatte. Auch sie wurde freigesprochen, ihr konnte keine Verletzung der Sorgfaltspflicht vorgeworfen werden.

«Hunde sind keine Maschinen»

Anwalt Ueli Grüter geht davon aus, dass auch der Biss-Fall aus Muri vor dem Bezirksgericht landen wird. Die Wahrscheinlichkeit sei aber hoch, dass seine Mandantin freigesprochen werde. Grüter stösst sich an der Verschwendung von Ressourcen, die die Staatsanwaltschaft mit «voreiligen Strafbefehlen, die meist zu einem Freispruch führen», verursachten. Grüter sagt: «Wenn dem Hundehalter keine konkrete Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann, ist sein Verhalten auch nicht strafbar.» Wenn ein Hund zubeisst, sei das primär ein zivilrechtlicher Fall, der durch die Haftpflichtversicherung gedeckt werde.
Der Anwalt Ueli Grüter mit seiner Hündin.

Die meisten Gerichte berücksichtigten bei ihren Entscheiden, dass Hunde keine Maschinen, sondern Lebewesen sind, die man nicht einfach beherrschen könne. Denn trotz aller Vorkehrungen bestehe ein Restrisiko, gebissen zu werden. Hundehalter Grüter würde nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass sein Mops nie jemanden beissen würde. Bis jetzt habe sich der Hund aber stets ruhig verhalten.

Laut Ueli Grüter sollten sich die Staatsanwaltschaften, anstatt eine Verhandlung vor Gericht zu provozieren, bemühen, dass sich Kläger und Beschuldigte einigen. Dann könne der Fall über die Haftpflichtversicherung abgeschlossen werden. Weiter rät er Hundehaltern und Biss-Opfern von voreiligen Anzeigen ab: «Sobald die Mühlen von Polizei und Staatsanwaltschaft zu mahlen beginnen, entstehen auf allen Seiten enorme Kosten.» Trotz Freispruch und Entschädigung blieben viele Hundehalter und Opfer auf einem grossen Teil der Anwaltskosten sitzen, so Grüter. Er ist der Meinung, dass die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau eingreifen sollte: «Hier werden sinnlos Tausende von Franken an Steuergeldern verbrannt.»

Staatsanwaltschaft wehrt sich

Fiona Strebel, Sprecherin der Aargauer Staatsanwaltschaft, weist Grüters Vorwürfe zurück: «Die Staatsanwaltschaft nimmt Hundehalter nicht juristisch unbegründet in die Zange», sagt sie. Und es sei falsch, dass ein Hundebiss primär zivilrechtlich behandelt werden könne. «Nebst der einfachen fahrlässigen Körperverletzung, die wir auf Antrag der gebissenen Person untersuchen, gibt es die Offizialdelikte», so Strebel. Dies sind zum Beispiel Widerhandlungen gegen das Tierschutz- oder gegen das Hundegesetz, oder schwere Körperverletzung. Diese Delikte werden von Amtes wegen verfolgt. «Und das tut die Staatsanwaltschaft nicht, um Steuergelder zu verbrennen, sondern weil es zu unserer gesetzlichen Aufgabe gehört, auch im Interesse der Bevölkerung», sagt Strebel. Weiter trage der Hundehalter die Verfahrenskosten nur bei einer Verurteilung.

Wie viele Hundebiss-Verfahren im letzten Jahr geführt wurden und wie viele mit einem Freispruch oder einer Verurteilung endeten, ist unklar. «Wir führen keine Statistik über die Anzahl Fälle mit Hundebissen», so Strebel. Eine Vorstellung davon, wie bissig die Aargauer Hunde sind, gibt der Jahresbericht des Amts für Verbraucherschutz. 2018 waren 40 000 Hunde im Kanton angemeldet. Beim Veterinärdienst gingen 596 Meldungen (Vorjahr 542) zu Hunden ein, die Mensch oder Tier gebissen hatten oder durch aggressives Verhalten auffielen. Das Veterinäramt sprach im letzten Jahr 104 Verwarnungen gegen Hundehalter aus, was im Vergleich zu 2017 einer Zunahme von 68 Prozent entspricht. In 113 Fällen kam es zu einer Strafanzeige.

Veröffentlicht in der Aargauer Zeitung am 1. Juli 2019: https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/freiamt/ist-die-aargauer-staatsanwaltschaft-hundefeindlich-anwalt-uebt-kritik-wegen-biss-vorfaellen-134690423
Aktualisiert am 02. März 2020

Braucht man eine Rechtsschutzversicherung?

Eine Rechtsschutzversicherung deckt die finanziellen Folgen von rechtlichen Auseinandersetzungen, also das eigentliche Prozessrisiko.

Eine Haftpflichtversicherung braucht man unbedingt (s. dazu vorne), eine Rechtsschutzversicherung dagegen nicht unbedingt. Da es jedoch vielen Leuten nicht reicht, einfach Recht zu haben, Prozessieren aber in vielen Fällen zum Luxus geworden ist (s. dazu auch digilaw.ch Kapitel 08 Innovationsschutz von digitalen Produkten > Durchsetzung von Immaterialgüterrechten; NZZ 13.02.2018, Der Gang vor Gericht wird zum Luxusgut), ist es sicherlich ratsam, sich auch den Abschluss einer Rechtsschutzversicherung zu überlegen.

Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass die Verteidigung der eigenen Rechte z.B. bei Haftpflichtfällen, insbesondere im Verkehr, bereits Teil der entsprechenden Versicherung ist. Andererseits schliessen Rechtsschutzversicherungen häufig Bereiche wie Informatik und Immaterialgüterrecht wegen entsprechend hohen Prozessrisiken (s. dazu auch digilaw.ch Kapitel 08 Innovationsschutz von digitalen Produkten > Durchsetzung von Immaterialgüterrechten) aus. Vor dem Abschluss einer Rechtsschutzversicherung ist also einerseits zu prüfen, ob gewisse Prozessrisiken bereits durch andere Versicherungen gedeckt sind und andererseits, ob eigene Prozessrisiken (insb. Informatik, Immaterialgüterrecht) durch die Rechtsschutzversicherung effektiv gedeckt sind. Wie schon bei der Haftpflichtversicherung (s. vorne) ist auch bei der Rechtsschutzversicherung zu bemerken, dass eine Privatrechtsschutzversicherung keine rechtlichen Auseinandersetzungen eines Business deckt (aber z.B. die rechtliche Auseinandersetzung eines Arbeitnehmers mit seinem Arbeitgeber). Wichtig ist zudem, dass einem die Rechtsschutzversicherung die Wahl eines Rechtsanwalts offen lässt. Von der Rechtsschutzversicherung offerierte Rechtsanwälte sind in der Regel zwar nicht schlecht, aber mit dem Anwalt des eigenen Vertrauens zu prozessieren, ist sicherlich angenehmer.

Die Kosten einer Rechtsschutzversicherung sind im Privaten oft günstig, im Business teurer. Amortsieren kann man die Kosten von Rechtsschutzversicherungen auch mit der von diesen in der Regel angebotenen Rechtsberatung, die man auch ausserhalb eines Prozesses in Anspruch nehmen kann. Nur schon deswegen lohnt sich insbesondere im Privaten eine Rechtsschutzversicherung.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.gsplaw.ch www.hslu.ch
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Arbnb – konsumentenrechtswidrige Praktiken

Die EU greift in letzter Zeit gegen die US-Internet-Giganten durch. Nun hat sie auch dem Community-Marktplatz für Buchung und Vermietung von Unterkünften Airbnb ein Ultimatum gesetzt. Die EU-Kommission wirft Airbnb verschiedene Verstösse gegen das Konsumentenrecht vor und verlangt von dieser, bis Ende August 2018 Lösungsvorschläge zur Korrektur der beanstandeten Praktiken vorzulegen.

Im Einzelnen fordern die Kommission und die nationalen Behörden, die in diesem Bereich für die Rechtsdurchsetzung verantwortlich sind, Airbnb unter anderem auf, die Preisinformationen auf der Suchoberfläche der Website künftig so zu präsentieren, dass der Nutzer in allen Fällen den Gesamtpreis einer Unterkunft einschliesslich aller verbindlichen Abgaben und Gebühren (z.B. für die Reinigung) erhält. Kann der Endpreis nicht im Voraus berechnet werden, muss der Konsument darüber informiert werden, dass zusätzliche Gebühren anfallen können. Zudem müsse Airbnb stets eindeutig angeben, ob eine Unterkunft von einem privaten oder einem gewerblichen Betreiber angeboten werde. Dies sei wichtig, weil für die beiden Fälle unterschiedliche Konsumentenschutzvorschriften zur Anwendung kämen. Im Weiteren verlangt die EU-Kommission, dass Airbnb die Kunden nicht in die Irre führen solle, indem es im Streitfall ein Gericht anrufe, das sich nicht im Wohnsitz-Mitgliedstaat des Konsumenten befinde (Konsumentengerichtsstand). Auch dürfe das Unternehmen den Verbraucher im Fall persönlicher oder sonstiger Schäden nicht des Rechts berauben, den Anbieter der Unterkunft zu verklagen. Die Kündigung oder Aussetzung eines Vertrags durch Airbnb wiederum müsse unter Angabe von Gründen erfolgen und klaren Regeln unterliegen. Sie dürfe dem Konsumenten nicht das Recht auf angemessenen Ausgleich oder auf Einlegung eines Rechtsbehelfs vorenthalten.

Diese und weitere Aufforderungen an Airbnb ergeben sich laut Kommission aus den EU-Richtlinien über unlautere Geschäftspraktiken und über missbräuchliche Vertragsklauseln sowie aus den EU-Verordnungen über die gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen und über die Online-Beilegung von konsumrechtlichen Streitigkeiten.

In der Schweiz gelten analoge Normen basierend auf dem Lauterkeitsgesetz (UWG), der Preisbekanntgabe-Verordnung (PBV), der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie im internatioantonalen Kontext basierend auf dem Lugano Abkommen (LugÜ; Schweiz-EU) und dem Internationalen Privatrechtsgesetz (IPRG; Schweiz-„Rest der Welt“).

Quelle: NZZ 16.07.2018 Die EU ruft Airbnb zur Ordnung @RHoeltschi

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.gsplaw.ch www.hslu.ch
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Stiftung für Konsumentenschutz SKS konstruiert „Sammelklage“ gegen VW und AMAG

Ueli Grüter in der Tagesschau von SRF vom 07.09.2017 zur SKS-Sammelklage

Ueli Grüter in der Tagesschau von SRF vom 29.12.2017 zur SKS-Sammelklage

Zu den spektakulärsten Prozessen gehöhren die Sammelklagen (Class Actions) in den USA. Da klagt ein Rechtsanwalt für Tausende von Geschädigten auf Schadenersatz, z.B. auch gegen den Volkswagenkonzern im Diesel-Skandal. In den USA lebt eine eigentliche juristische Industrie von Sammelklagen, weil man in diesen Verfahren aufgrund der Hebelwirkung Millionen herausholen kann. Zudem werden aufgrund dieses Umstandes die Prozesse oft durch Vergleich, also eine Vereinbarung der Parteien im Prozess erledigt. Neben dem Big-Business für Rechtsanwälte und den mehr oder weniger grossen Entschädigungen für die Betroffenen (ich habe im Rahmen eines Vergleichs mit Amazon wegen einem Buchkartell eine Entschädigung von US$ 10.07 erhalten …), verhelfen Sammeklagen, neben der Punitive Damages (Strafzahlungen in Millionenhöhe im Zivilprozess) vor allem auch dem Konsumentenschutz zum Durchbruch.

Diesen Hebel möchte nun auch die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) für die Durchsetzung des schweizerischen Konsumentenrechts nutzen. Denn dieses ist bis dato „toter Buchstabe“. Konsumentinnen und Konsumenten klagen nicht, weil das Prozessrisiko für den einzelnen zu gross ist. Die Konsumentenschutzorganisationen klagen nicht, weil sie die notwendigen finanziellen Ressourcen nicht haben. Einen Ausweg aus diesem Dilemma sieht die SKS offenbar in der Sammelklage – obwohl des eine solche in der Schweiz formell gar nicht gibt!

Das scheint für die SKS kein Hindernis zu sein. Sie konstruiert einfach eine Sammelklage. Geht das überhaupt und wenn ja, wie?

Bei einer echten Sammelklage, wie es sie eben z.B. in den USA gibt, ist es möglich, mit einer einzigen Klage für alle Betroffenen zu klagen. Bei der US-Class-Action ist es sogar so, dass auch für diejenigen geklagt wird, die nicht explizit ihre Teinahme zugesagt haben. Wer nicht dabei sein will (weil er z.B. selber klagen will) muss dies explizit erklären (sogenanntes Opt-Out).

SKS versucht nun in der Schweiz in einem Musterprozess eine Sammelklage zu imitieren. Effektiv handelt es sich jedoch um eine Einzelklage (vorab eine Klage auf Feststellung unlauteren Verhaltens im Namen von SKS selbst) sowie eine Klagehäufung (mehrere einzelne Schadenersatzklagen gegen den gleichen Beklagten). Dabei hofft SKS wohl auch, wie dies eben häufig in den USA geschieht, dass ihre Prozessgegner nach einem ersten Urteil gegen sie einknicken und in einen Vergleich, also eine Vereinbarung zugunsten aller Kläger einwilligen.

Der Challenge bei diesem Vorgehen liegt m.E. weniger bei den Rechtfragen, sondern bei den technischen Fragestellungen und in der Kommunikation mit Hunderten, ja möglicherweise Tausenden von Personen, die ihre Ansprüche gegen VW und AMAG an die SKS abtreten. Da liegt eben der entscheidende faktische Unterschied zu einer effektiven Sammelklage, wie sie in den USA existiert. Aus diesem Grund dürften denn auch Sammelklagen, wenn auch nur konstruierte, in der Schweiz kein Big-Business werden.

Gerade deswegen muss man der SKS gegenüber besonders dankbar sein, dass sie die Mühsal einer konstruierten Sammelklage auf sich nimmt – für einen bissigen Konsumentenschutz auch in unserem Land!

Wie managed ein Gericht 6’000 praktisch identische Einzelklagen?

Da es in der Schweiz die formelle Sammelklage nicht gibt, wurden in der Sache gegen VW und AMAG 6’000 Einzelklagen eingereicht, die nun vom Gericht grundsätzlich auch einzeln beurteilt werden müssen. Immerhin dürfte es sich um eine sogenannte Klagehäufung handeln, bei der ein Gericht die Prozesse zusammenlegen kann. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei den beanstandeten Dieselfahrzeugen um individuelle Güter (unterschiedliches Alter, unterschiedlicher Kilomenterstand, unterschiedlicher Zustand), sodass das Gericht wohl nicht umhin kommt, 6’000 Fahrzeuge einzeln zu beurteilen. Und die Kläger müssen ebenfalls auf jedes Fahrzeug individuell eingehen und den individuellen Schaden belegen. Dies entspricht der Substantiierungspflicht. Wenn die Kläger dieser Pflicht nicht nachkommen, könnte das Gericht seinerseits auf die Sache nicht eingehen. Interessant wäre in diesem Kontext zu vernehmen, inwiefern sich die Sache sowohl auf Seiten der Parteien, wie auch beim Gericht standardisieren lässt. Evtl. gibt es da einmal die Möglichkeit, von Seiten der Hochschule Einblick zu nehmen um daraus für künftige entsprechende Prozesse zu lernen.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.gsplaw.ch www.hslu.ch
Aktualisiert am 22. August 2018