AGBs und Datenschutzerklärungen als Pop-ups direkt in Apps und E-Commerce

«30 Arbeitstage zum Lesen von AGBs und Datenschutzerklärungen …»

Gemäss Professor Gerd Gigerenzer zeigen Studien, dass man 30 Arbeitstage (sic!) bräuchte, wenn man alle Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) lesen würde, auf die man über das Jahr hinweg hingewiesen wird (s. Gerd Gigerenzer in Magazin «philosophie» 07.10.2021). Dies gilt natürlich auch für all die Datenschutzerklärungen. Damit sind die herkömmlichen AGBs und Datenschutzerklärungen ein untaugliches Mittel zur Information der User. Gigerenzer verlangt deshalb gesetzliche Vorschriften für kurze, verständliche AGBs, wie sogenannte «One-Pager». Eine aktuelle Untersuchung der University of Pennsylvania zum Datenschutz-Verständnis von User (Annenberg School for Communication of University of Pennsylvania, Americans can’t consent to companies use of their data, 02.2023) kommt zudem zum Schluss, dass die User, auch wenn sie Datenschutzerklärungen lesen, nicht verstehen, was die Datenerhebung und Datenverarbeitung durch die besuchten Internet-Plattformen für sie überhaupt bedeuten (s. The New York Times 07.02.2023, Americans Flunked This Test on Online Privacy).

AGBs und Datenschutzerklärungen als Pop-ups direkt in Apps und E-Commerce

Ich bin absolut der Meinung von Professor Gigerenzer. Jedoch ist davon auszugehen, dass auch die von Gigerenzer verlangten «One-Pager» von den Usern nicht gelesen werden. Damit AGBs und Datenschutzerklärungen von den Usern aktiv wahrgenommen und verstanden werden, müssen sie direkt in den Applikationen und E-Commerce an den Stellen aufpoppen, an denen Daten erhoben oder verarbeitet werden und den Usern muss z.B. über weiterführende Links deren genaue Funktion erklärt werden. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 2 ZGB) braucht es dann auch den für User lästigen «Cookie- bzw. Okay-Button» nicht. Dieser gehört ebenfalls zum Nonsens im Online-Datenschutz (!).

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Keine Mietzinsreduktion bei behördlich angeordneter Temperaturreduktion

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Bild von ri auf Pixabay

Gemäss Medienberichten (u.a. SonntagsZeitung, Blick) befürchtet der Schweizerische Verband der Immobilienwirtschaft (Svit), dass bei einer, im Krisenfall behördlich angeordneten Reduktion der Raumtemperatur auf maximal 19 Grad bei mittels Gas geheizten Wohnungen, Mieterinnen und Mieter erfolgreich Mietzinsreduktionen nach Art. 259d Obligationenrecht (OR) einklagen könnten. Dabei bezieht sich der Svit auf eine Rechtsprechung des Bundesgerichts, nach der ein Vermieter gemäss Art. 256 OR verpflichtet ist, die Mietsache in einem zum vorausgesetzten Gebrauch tauglichen Zustand zu erhalten. Der Mieter einer kalten Wohnung kann nach Art. 259a ff. OR vorgehen und die Behebung des Mangels durch den Vermieter verlangen oder allenfalls eine Mietzinsreduktion verlangen (s. dazu detailliert und mit Angabe von Rechtsprechung und Literatur: Thomas Elmiger, «Streitpunkt Raumtemperatur», 10.2020 auf www.zeitschrift-wohnen.ch).

Diese Rechtsprechung kann jedoch m.E. bei einer behördlich angeordneten Temperaturreduktion aufgrund einer Energiekrise in Analogie zu Art. 119 OR und nach Art. 2 Abs. 1 Zivilgesetzbuch (ZGB) nicht angewandt werden. Denn in diesem Fall befolgt der Vermieter ja eine behördliche Vorschrift und kann darum Art. 256 OR gar nicht verletzen. Damit können Mieterinnen und Mieter in diesem Fall auch keine Mietzinsreduktionen nach Art. 259d OR verlangen. Eine entsprechende finanzielle Entschädigung müsste in diesem Fall, wenn schon, dann direkt von der anordnenden Behörde, also dem Bund kommen (analog der diversen Entschädigungen bei den Covid-19-Massnahmen).

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Haftpflicht – Grobfahrlässigkeit versichern!

Grobfahrlässigkeit kann zu Leistungsverweigerung der Versicherung führen!

Gemäss Art. 14 Abs. Abs. 2 und 3 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) kann eine Versicherung ihre Leistung in einem dem Grade des Verschuldens entsprechenden Verhältnis kürzen, falls der Versicherungsnehmer oder der Anspruchsberechtigte das versicherte Ereignis grobfahrlässig herbeigeführt hat. Je nach Verschulden kann also ein grobfahrlässiges Handeln bis zur kompletten Leistungsverweigerung der Versicherung führen.

Leichte Fahrlässigkeit – grobe Fahrlässigkeit

In der Praxis kann die Abgrenzung von leichter und grober Fahrlässigkeit schwierig sein. Es gilt die folgende Faustregel. Kann das Verhalten, das zum Schaden führte, mit «Das kann ja mal passieren» umschrieben werden, geht die Tendenz stark zum leicht fahrlässigen Verhalten. Würde ein Verhalten dagegen mit «Das darf nicht passieren!» beschrieben werden, befindet man sich im Bereich der groben Fahrlässigkeit. Auch wegen dieser schwierigen Abgrenzung empfiehlt sich sehr, die grobe Fahrlässigkeit mitzuversichern.

Explizite Aufnahme der Versicherung der Grobfahrlässigkeit in die Police

Es gibt Versicherungen, die beim Abschluss einer Versicherungspolice ihre Kunden auf die Problematik mit der Grobfahrlässigkeit hinweisen und die Grobfahrlässigkeit sogar automatisch mitversichern; sozusagen als Pluspunkt ihres Angebots. Mit Versicherungen, die dies jedoch nicht tun, muss man diesen Punkt explizit verhandelnd und darauf achten, dass die Versicherung der Grobfahrlässigkeit in der Versicherungspolice ausdrücklich erwähnt ist.

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Irreführendes «Monatsabo» beim Passepartout Luzern, Ob- und Nidwalden?

Heute hat mich ein irritierter Fahrgast der Zentralbahn kontaktiert. Dieser hat ein «Monatsabo» des Tarifverbunds Passepartout (öffentlicher Verkehr, ÖV, der Kantone Luzern, Ob- und Nidwalden). Das Abo ist gültig ab 30. April 2022. Heute, 30. Mai 2022 wurde der Fahrgast durch die Ticket-Kontrolle angehalten und gebüsst, da das Abo gestern, 29. Mai 2022 abgelaufen sei. Effektiv steht auf dem Abo «Gültig bis: 29.05.2022». Der Fahrgast hat mich nun angefragt, ob das nicht irreführend sei. Die Antwort habe ich in Art. 142 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) gefunden, und zwar in der Regel, wie in Zivilprozessen Monatsfristen berechnet werden. Gemäss Art. 142 Abs. 2 ZPO endet eine Monatsfrist im kommenden Monat an dem Tag, der dieselbe Zahl trägt, wie der Tag, an dem die Frist zu laufen begann. Das wäre hier also der 30. Mai 2022 und nicht, wie auf dem Abo angegeben, der 29. Mai 2022. Der hier verwendet Begriff «Monatsabo» ist also, mindestens wenn man die ZPO-Regel analog anwendet, irreführend. Der Fahrgast wird dies nun dem Tarifverbund Passepartout so kommunizieren. Mal schauen, wie dieser reagiert …

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Citibank – Dilemma in the digital world!

An amazing story that happened to Ueli Grüter, attorney-at-law, lecturer at Lucerne University of Applied Sciences and Arts, that shows that when the digital systems, like apparently Citibank’s online banking or Fin Tech, are not particularly smart, you end up having to go back to the offline world … and to instruct lawyers to settle the matter!

In 2010, while studying in Boston (MA/USA), I opened a bank account with the US Citibank, one of the largest financial services providers in the world, including a debit card, which had an advantage at the time, especially in US online shops. I entered the address of our partner law firm in Boston as my domicile. Since I used the account and debit card exclusively digitally, as is common today, the physical address was irrelevant, except for the delivery of the new debit card, when this has expired. I had the latter sent to Switzerland in each case. In the meantime, however, the partner firm in Boston at the time has apparently dissolved, which I was not aware of, and I did not take into account that the debit card expired last year and I did not provide Citibank a new address for the delivery of the new debit card. When I wanted to access my Citibank account online in February this year, Citibank tightened the security for the login and now requires the number of the debit card too. However, as this has just expired, the system no longer accepted the card number and gave the feedback: Oops, something went wrong, try again later … Since I don’t really need the Citibank account any more, I want to close it. To do this, however, I would have to have access to the online banking, which I don’t have because my debit card has expired. The Citibank telephone hotline advised me to ask Citibank to close the account by post and to transfer the balance to a Swiss bank account in my favour. I did that more than a month ago, even by registered letter. The Swiss post office confirmed that the letter had was sent to the USA. However, the Citibank telephone hotline has just told me that this letter is not registered with Citibank. I could also close the account by phone. They would then send me the balance in my favour as a check (sic!) to my (no longer valid!) address in Boston. However, a change of the address is not possible by phone, especially because the telephone hotline cannot send me an SMS to Switzerland for further necessary identification. So this is the classic dilemma in the digital world! »Dispute Resolution and Law Enforcement in the Digital World» is a chapter in my textbook www.digilaw.ch. But the crazy thing is that when the digital systems, like apparently Citibank’s online banking, are not particularly smart, you end up having to go back to the offline world. I have now asked our partner law firm in New York (also Citibank’s headquarters) to take care of the matter for me offline …

By the way, Citibank also has a branch in Switzerland. However, it tells me that it has nothing to do with business in the USA …

To be continued …

Ueli Grüter, LL.M., attorney-at-law, university lecturer, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch, www.intla.ch

Verstösst Birkenstock gegen Schweizer Geoblocking-Verbot?

In einem Artikel vom 21. März 2022 auf juristenfutter.ch habe ich das Schweizer Geoblocking-Verbot gemäss Art. 3a Lauterkeitsgesetz (UWG) erläutert. Heute habe ich nun versucht bei Birkenstock bzw. deren Birkenstock digital GmbH in deren Online-Shop in Deutschland (www.birkenstock.com/de) einzukaufen. Die entsprechenden Sandalen kosten in diesem Shop EUR 115 inkl. MwSt. Als ich jedoch den Kauf abschliessen wollte, wurde meine Adresse in der Schweiz nicht akzeptiert. In der Folge suchte ich «Birkenstock» auf «Google» und wurde auf den Schweizer Online-Shop von Birkenstock (www.birkenstock.com/ch) verwiesen. Dort kosten die gleichen Sandalen jedoch CHF 130 inkl. MwSt. D.h. Birkenstock blockt Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten auf ihrem deutschen Online-Shop und verkauft diesen in ihrem Schweizer Online-Shop die gleichen Sandalen 10 % teurer (!). Berücksichtigt man auch noch die Differenz der Mehrwertsteuer von 11.3 % (DE: 19 %; CH: 7.7 %), verkauft Birkenstock die entsprechende Sandale in ihrem Schweizer Online-Shop sogar 20 % teurer (sic!). Dies ist m.E. ein klarer Verstoss gegen das Schweizer Geoblocking-Verbot bzw. Art. 3a UWG, wenn Birkenstock diese enorme Preisdifferenz nicht sachlich begründen kann. An den Versandkosten kann es nicht liegen. Diese bezahle ich als Schweizer Kunde, im Gegensatz zu den Kunden in Deutschland, noch zusätzlich …

Ich habe darum die Birkenstock digital GmbH gebeten, zum Geoblocking und zur enormen Preisdifferenz Stellung zu nehmen. Zudem habe ich den Case, wie im Artikel zum Geoblocking-Verbot erläutert, dem Staatssekretariat für Wirtschaft SECO zur Abklärung gemeldet (https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Werbe_Geschaeftsmethoden/Unlauterer_Wettbewerb/Beschwerde_melden/Beschwerde_unlautere_Geschaeftspraktiken.html).

Fortsetzung folgt …

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Aktualisiert am 16. April 2022

Schweizer Geoblocking-Verbot

Parlament gebärt «Tiger ohne Zähne»

Zu Beginn dieses Jahres wurde mit dem neuen Artikel 3a des Lauterkeitsgesetzes (UWG) ein Verbot zur Diskriminierung im Fernhandel (Internet, Telefon, Katalog) von Kunden in der Schweiz in Kraft gesetzt. Mit diesem Artikel hat das schweizerische Parlament im März letzten Jahres jedoch einen «Tiger ohne Zähne» geboren. Da ein Verstoss gegen die neue Regelung nicht strafbar ist, können Konsumentinnen und Konsumenten nicht einfach eine Strafanzeige einreichen, sondern müssten sich in einem kostspieligen Zivilprozess zur Wehr setzen. Das ist eine absolute Illusion. Damit dürfte das «Geoblocking-Verbot», wie z.B. schon das bisherige Datenschutzgesetz, höchstens eine «homöopathische» Wirkung zeigen …

Gemäss Art. 3a UWG handelt unlauter, wer im Fernhandel (Internet, Telefon, Katalog) ohne sachliche Rechtfertigung einen Kunden in der Schweiz aufgrund seiner Nationalität, seines Wohnsitzes, des Ortes seiner Niederlassung, des Sitzes seines Zahlungsdienstleisters oder des Ausgabeorts seines Zahlungsmittels:

  • beim Preis oder bei den Zahlungsbedingungen diskrimi­niert;
  • ihm den Zugang zu einem Online-Portal blockiert beziehungsweise be­schränkt («Geoblocking»);
  • ihn ohne sein Einverständnis zu einer anderen als der ursprünglich aufgesuchten Version des Online-Portals weiterleitet.

Diese Aufzählung ist alternativ. Ist also einer der drei Tatbestände erfüllt, ist Art. 3a UWG verletzt.

Was eine Diskriminierung bei Preis oder Zahlungsbedingungen ist, hat der Gesetzgeber nicht definiert. So dürfte es zulässig sein, dass ein Anbieter zu höheren Preisen in die Schweiz liefert, wenn er dies sachlich begründen kann, z.B. mit entsprechenden Logistikkosten. Selbstverständlich ist es einem Anbieter auch unbenommen, überhaupt nicht in die Schweiz zu liefern.

Keine Anwendung auf Netflix & Co.

Unbegreiflich ist auch der umfangreiche Katalog von Ausnahmen, der insbesondere audiovisuelle Dienste von der Regelung ausnimmt, wie z.B. Netflix und Spotify. Keine Anwendung findet das Diskriminierungsverbot auch auf nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse; Dienstleistungen im Finanzbereich; Dienstleistungen der elektronischen Kommunikation; Dienstleistungen des öffentlichen Verkehrs; Dienstleistungen von Leiharbeitsagenturen; Gesundheitsdienstleistungen; Glücksspiele, die einen geldwerten Einsatz verlangen, einschliesslich Lotterien, Glücksspiele in Spielbanken und Wetten; private Sicherheitsdienste; soziale Dienstleistungen aller Art; Dienstleistungen, die mit der Ausübung hoheitlicher Gewalt verbunden sind; Tätigkeiten von Notaren sowie von Gerichtsvollziehern, die durch staatliche Stellen bestellt werden.

«Tiger ohne Zähne»

Das Verbot des Geoblockings nach Art. 3a UWG ist ein «Tiger ohne Zähne» (!). Im Gegensatz insbesondere zu den Tatbeständen von Art. 3 UWG, nota bene den Bestimmungen zum sog. Spamming und zu den Informationen im E-Commerce, ist eine Verletzung des Geoblockings nach Art. 3a UWG gemäss Art. 23 UWG nicht strafbar. Konsumentinnen und Konsumenten müssten also im konkreten Fall gemäss Art. 9 ff. UWG einen Zivilprozess anstrengen, der enorme Kosten verursachen kann (s. dazu digilaw.ch) und damit als Rechtsmittel illusorisch ist.

Support durch Konsumentenschutzorganisationen und Bund

Immerhin können nach Art. 10 UWG auch Konsumentenschutzorganisationen und der Bund klagen. Der Stiftung für Konsumentenschutz können Verstösse gegen Art. 3a UWG unter folgendem Link gemeldet werden: https://findmind.ch/c/xH1g-yK59. Beim Bund können Beschwerden unter folgendem Link angezeigt werden: https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Werbe_Geschaeftsmethoden/Unlauterer_Wettbewerb/Beschwerde_melden/Beschwerde_unlautere_Geschaeftspraktiken.html. Beide Organisationen werden aktiv, wenn eine grössere Anzahl Beschwerden eingegangen sind.

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Aktualisiert am 15. April 2022

Wettbewerb: generell keine Gratisteilnahme mehr

Basierend auf dem bisherigen Lotteriegesetz (nicht mehr in Kraft) mussten Veranstalter von Wettbewerben (bzw. «Gewinnspielen»; u.a. zur Verkaufsförderung) jeweils die Möglichkeit bieten, dass Interessenten gratis und ohne Kaufzwang daran teilnehmen durften.

2012 wurde der direkte Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Für Geldspiele im Dienste des Gemeinwohls» angenommen. Geldspiele waren in dieser Zeit sowohl im Spielbankengesetz (nicht mehr in Kraft), wie auch im genannten Lotteriegesetz geregelt. Basierend auf dem neuen Art. 106 der Bundesverfassung (BV) hat der Bundesrat «im Sinne einer kohärenten sowie zweck- und zeitgemässen Regelung des Geldspiels in der Schweiz» eine Zusammenführung der genannten beiden Erlasse in das neue Bundesgesetz über Geldspiele (Geldspielgesetz, BGS) vorgeschlagen. 2017 wurde dieses vom Parlament angenommen und vom Bundesrat 2019 in Kraft gesetzt.


Ueli Grüter erläutert in der Sendung «Espresso» von SRF vom 23.05.2022, dass es seit der Gesetzesänderung von 2019 generell keine Pflicht zum Angebot einer Gratisteilnahme an Wettbewerben mehr gibt.

Generell keine Gratisteilnahme mehr bei Wettbewerben

Das neue Geldspielgesetz (Art. 1 Abs. 2 lit. d BGS) nimmt kurzzeitig zur Ver­kaufsförderung durch­geführte Lotterien und Geschicklich­keitsspiele, von denen keine Gefahr von exzessivem Geldspiel ausgeht und bei denen die Teilnahme ausschliesslich über den Kauf von Waren oder Dienstleistungen erfolgt, die zu höchstens marktkonformen Preisen ange­boten werden, von der Anwendung des Gesetzes nunmehr explizit aus. Obwohl der Bundesrat in Entwurf und Botschaft (BBl 2015 8387) noch eine Gratisteilnahme vorgesehen hatte (S. 8434), hat das Parlament diese gekippt. Somit muss bei solchen, landläufig als «Wettbewerbe» bezeichneten Gewinnspiele generell keine Gratisteilnahme mehr angeboten werden. Selbstredend können aber natürlich solche Wettbewerbe auch gratis bzw. ohne Kaufzwang durchgeführt werden.

Ausnahme: Wettbewerbe von Medienunternehmen

Aber 8ung! Zwar fallen gemäss Art. 1 Abs. 2 lit. e BGS auch durch Medienunternehmen kurzzeitig zur Verkaufsförderung durch­geführte Lotterien und Geschicklichkeitsspiele, von denen keine Gefahr von exzessi­vem Geldspiel ausgeht und an denen zu den gleich guten Zugangs- und Teil­nahmebedingungen wie bei Leistung eines geldwerten Einsatzes oder bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts teilgenommen werden kann, ebenfalls nicht mehr unters Geldspielgesetz. Bei diesen sieht aber das Gesetz explizit und zwingend eine Gratis-Teilnahme vor (!).

«Verkaufsförderung»

«Verkaufsförderung» im genannten Sinne, bedeutet, dass das Spiel immer an den Kauf eines Produkts oder an die Inanspruchnahme einer Dienstleistung gekoppelt sein oder eine Kundenbindungsmassnahme darstellen muss. Letzteres ist etwa dann der Fall, wenn während Fernseh- oder Radiosendungen eine Lotterie oder ein Geschicklichkeitsspiel durchgeführt wird, mit dem Ziel, die Zuschauenden bzw. Zuhörenden an die entsprechende Sendung oder das gesamte Sendungsangebot der entsprechenden Anbieterin zu binden. Ersteres liegt etwa dann vor, wenn ein Spiel an den Kauf von Waren im Detailhandel oder an den Abschluss eines Abos gekoppelt ist. (BBl 2015 8387 S. 8434)

«Gratis»

«Gratis» im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. e BGS (Wettbewerbe/Gewinnspiele von Medienunternehmen, s. vorne) bezieht sich nicht nur auf die Spielteilnahme als solche, sondern auch auf die Übermittlung derselben. Wenn die Übermittlung der Gratisspielteilnahme zu erhöhten Übermittlungsgebühren zu erfolgen hat, beispielsweise über eine Mehrwertdienstnummer, kann entsprechend keine Gratisteilnahme vorliegen. Eine Gratisteilnahme kann demgegenüber vorliegen, wenn die Übermittlung der Spielteilnahme zwar entgeltlich, jedoch zu den normalen Übermittlungsgebühren erfolgt (z. B. über ein SMS oder einen Anruf je zu den Normaltarifen). Sollte eine Spielveranstalterin vorsehen, dass die Übermittlung der Spielteilnahme über eine Mehrwertdienstnummer erfolgen kann, muss sie demnach daneben stets auch die Gratis-Übermittlung der Spielteilnahme (z. B. per Internet oder per Anruf auf eine kostenlose Telefonnummer) oder zu den normalen Übermittlungsgebühren anbieten. Andernfalls wird das betreffende Spiel vom Geltungsbereich des Geldspielgesetzes erfasst. Selbstverständlich darf die Übermittlung der Gratisteilnahmemöglichkeit aber nicht teurer sein als die kostenpflichtige Teilnahmemöglichkeit selbst. So wäre etwa der Postweg (normale Übermittlungsgebühr von mindestens 85 Rappen) als Gratisteilnahme nicht statthaft, wenn für die kostenpflichtige Teilnahme ein SMS für 70 Rappen vorgesehen wäre. Die Gratisteilnahme muss schliesslich klar und unmissverständlich kommuniziert werden und zu den gleichen Bedingungen wie die kostenpflichtige Teilnahme möglich sein. Letzteres bedeutet, dass die Gratisteilnahme für die Spielenden in keiner Art und Weise nachteilig sein darf gegenüber der kostenpflichtigen Spielteilnahme. Dazu gehört etwa, dass die Gratisteilnahme anzahlmässig nicht stärker limitiert sein darf als die kostenpflichtige Teilnahme. Ferner muss sie so leicht verfügbar und zugänglich sein wie die kostenpflichtige Teilnahme. Dies ist etwa dann nicht der Fall, wenn für die Übermittlung der Spielteilnahme eine veraltete Technologie oder eine Technologie, die sich nicht durchgesetzt hat, verwendet wird (trifft heute z. B. bei WAP zu). (BBl 2015 8387 S. 8434)

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Aktualisiert am 29. Juni 2022

«Viagogo» – Spielverderber der Event-Industrie

Ebay, Instagram, die schweizerische tutti.ch sind Online-Plattformen, auf denen Private, teilweise aber auch Profis Waren verkaufen und kaufen. Die Plattformen sind äusserst beliebt und niemand regt sich darüber auf. Viagogo ist auch eine solche Plattform. Nur werden dort nicht Waren, sondern Tickets für Events, wie Konzerte, Fussballspiele und Zirkusaufführungen verkauft und gekauft. Viagogo selbst verkauft nichts, sondern stellt lediglich die entsprechende Handelsplattform zur Verfügung. Im Gegensatz zu den Waren-Handels-Plattformen scheint die Ticket-Handels-Plattform Viagogo ein grosses Ärgernis zu sein. Konsumentinnen und Konsumenten beschweren sich bei Medien und beim Bund.

Bund und Zirkus Knie klagen gegen Viagogo

Die Schweizerische Eidgenossenschaft bzw. wohl das damit beauftragte Staatssekretariat für Wirtschaft SECO reichte in der Folge im Jahre 2017 beim Handelsgericht des Kantons Zürich gegen Viagogo eine Klage wegen unlauteren Wettbewerbs ein. 2020 klagte dann auch noch der Zirkus Knie beim Handelsgericht des Kantons St. Gallen, ebenfalls wegen unlauteren Wettbewerbs und zusätzlich wegen Verletzung der Marken «Knie» bzw. «Circus Knie». In der Sache Schweizerische Eidgenossenschaft vs. Viagogo AG entschied das Schweizerische Bundesgericht letztinstanzlich mit Urteil vom 1. Dezember 2020 (4A_235/2020). In der Sache Gebrüder Knie, Schweizer National-Circus AG Rapperswil vs. Viagogo AG, entschied das Handelsgericht des Kantons St. Gallen am 24. Februar 2021 (HG.2018.181-HGK). Diesen Entscheid hat Viagogo an das Bundesgericht weitergezogen. Dort ist die Sache zum Zeitpunkt der Redaktion dieses Artikels noch hängig.

Tele1: Sind die Geschäftspraktiken von Viagogo legal?

Da sich auch der Zirkus Monti, der aktuell in Luzern gastiert, über die Geschäftspraktiken von Viagogo aufregt, wollte Tele1 von mir wissen, wie ich die Sache aus juristischer Sicht einschätze. Ich habe dafür die genannten Entscheide von Bundesgericht und Handelsgericht des Kantons St. Gallen studiert. Aus diesen Gerichtsentscheiden sind insbesondere folgende Punkte bemerkenswert.

Ueli Grüter, Rechtsanwalt, Dozent Hochschule Luzern, mit einer juristischen Einschätzung der Geschäftspraktiken der Online-Ticket-Handelsplattform Viagogo in den Nachrichten von Tele1 vom 21.09.2021

  • Viagogo darf im Zusammenhang mit der Ticket-Handels-Plattform alles publizieren, was zutreffend ist, auch wenn es den Event-Veranstaltern nicht in den Kram passt.
  • Die Konsumentinnen und Konsumenten können auf der Plattform von Viagogo klar erkennen, dass es sich um eine Wiederverkaufsplattform und nicht um die Plattform der Event-Veranstalter handelt.
  • Als Ticket-Handels-Plattform kann Viagogo nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn Tickets allenfalls ungültig, gefälscht oder personalisiert sind, und darum allenfalls kein Zugang gewährt ist. Ergänzen muss man hier aber aus der Rechtsprechung zur Verantwortlichkeit von Internet-Access-Provider, dass Viagogo verpflichtet ist, in den Handel einzugreifen, sollten Viagogo entsprechende Probleme bekannt werden.
  • Wenn Viagogo effektiv Tickets des Zirkus Knie verkauft, darf Viagogo in der Werbung auch die Bezeichnung bzw. Marke «Knie» verwendet; auch in Zusammenhang mit Anzeigen auf Google, auch als gekaufte Suchwörter. Darum ist auch nicht zu beanstanden, wenn das Angebot von Viagogo bei der Google-Suche vor dem Angebot des Event-Veranstalters erscheint.
  • Die Verwendung von Countdowns und andere Verkaufsmethoden, die Konsumentinnen und Konsumenten etwas unter Druck setzen, sind gemäss Bundesgericht grundsätzlich explizit zulässig. 
  • Nicht zulässig ist dagegen der generelle Hinweis, eine Vorstellung sei «ausverkauft», wenn es beim Event-Veranstalter selbst noch Tickets gibt.

Bundesgericht schlägt sich auf Seite von Viagogo

Abgesehen davon, dass die Rechtsschriften (Klage, Beschwerde) des Bundes bzw. des SECO offensichtlich überaus mangelhaft waren und darum vom Bundesgericht heftig kritisiert wurden, scheint das Bundesgericht mit der Ticket-Handels-Plattform und der entsprechenden Geschäftspraktiken keinerlei Mühe zu haben. Das Gericht hat denn auch die Beschwerde von Bund bzw. SECO vollumfänglich abgewiesen, soweit es überhaupt darauf eingetreten ist. Es ist damit m.E. davon auszugehen, dass Viagogo auch in der Sache «Knie» vor Bundesgericht wohl weitgehend Recht bekommen wird. Die Event-Industrie wird mit Viagogo und anderen Ticket-Handels-Plattformen leben müssen.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.schneiderfeldmann.legal, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch

Keine Kreditkarte über die eigene Bank!

Tipps vom Rechtsanwalt zur Verwendung von Kreditkarten

Ferienzeit ist Kreditkartenzeit. Es werden Fälle von Kreditkartenmissbrauch an mich als Rechtsanwalt herangetragen. Und die Leute wollen wissen, ob ich ihnen juristische Tipps bei der Verwendung von Kreditkarten hätte. Ja, die habe ich, auch wenn sie mehr taktischer, als juristischer Natur sind.

Tipp Nr. 1: Keine Kreditkarte über die eigene Bank!

Soeben haben die Schweizer Banken ihre Kundenkarten zu Karten transformiert, die wie Debit- oder Kreditkarten verwendete werden können, mit denen z.B. auch im Internet bzw. E-Commerce eingekauft werden kann. Insbesondere Kunden, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, haben nun eine Debit- oder Kreditkarte, die direkt über ihr Bankkonto abgerechnet wird. Auch wenn dies über Lastschrift erfolgt, wo der Kunde die Abbuchung auf dem Konto allenfalls widerrufen kann, besteht das faktische Problem, dass im Streitfall mit der Bank der Kunde das Geld «zurückklagen» muss. Hat man jedoch eine Kreditkarte von einem Anbieter, der von der eigenen Bank unabhängig ist, wie z.B. Cornèr, wird der streitige Betrag zwar der Kreditkarte belastet, jedoch nicht dem Bankkonto. In diesem Fall müsste dann der Kreditkarten-Anbieter gegen den Kunden klagen und nicht umgekehrt. Das ist mindesten ein taktischer Vorteil.

Tipp Nr. 2: Debitkarten statt Kreditkarten verwenden

Der Vorteil von Debitkarten, gegenüber Kreditkarten ist, dass nicht mehr bezogen werden kann, als einbezahlt wurde. Der Nachteil ist dabei jedoch, dass man die Debitkarte immer wieder «nachfüllen» muss. Die Kreditkarte mit Kreditlimit hat die gleiche Wirkung, ohne dass man immer wieder Beträge nachladen muss (s. dazu nachfolgend).

Tipp Nr. 3: Kreditlimit auf Kreditkarten reduzieren

In jedem Fall sollte bei Kreditkarten das Kreditlimit auf einen Betrag reduziert werden, der nicht höher ist, als der effektive Bedarf pro Tag oder Monat. Bei den meisten Anbietern kann z.B. vor Ferien das Kreditlimit temporär erhöht werden.

Tipp Nr. 4: Nur virtuelle Debit- oder Kreditkarten verwenden

Virtuelle Debit- oder Kreditkarte, wie die schweizerische Lösung «Twint»* oder «Apple Pay» oder «Google Pay» haben den enormen Vorteil, dass sie mindestens physisch nicht geklaut werden können. Seit Corona sind mir auch keine Bezahlterminals mehr begegnet, bei denen ich nicht kontaktlos hätte zahlen können. Um allenfalls in den Ferien doch noch Bargeld mit der Kreditkarte zu beziehen, kann man diese ja mitnehmen, jedoch im Safe im Hotelzimmer zurücklassen.

*Extra-Tipp: Bei der Twint-App von UBS kann man irgend eine Kreditkarte hinterlegen, also auch eine solche, die nicht von UBS kommt, was bei den Apps der anderen Banken nicht geht, und man muss auch nicht, wie bei der App von Twint selber, vorab einen Betrag einzahlen. Vielen Dank, UBS :-)!.

Tipp Nr. 5: Virtuelle Einwegkarte bei unsicheren Anbietern verwenden!

Eine ganz clevere Lösung für die Bezahlung bei unsicheren Anbietern bietet u.a. das britische Fintech-Unternehmen «Revolut» an: die Einwegkarte. Dabei handelt es sich um eine Debitkarte, die wie eine Kreditkarte u.a. im E-Commerce, aber u.a. auch über «Twint», «Apple Pay» und «Google Pay» verwendet werden kann. Nach jedem Gebrauch wird die Kreditkarte jedoch gelöscht und für den nächsten Einkauf kann man auf der Revolut-App ganz einfach eine neue Einwegkarte holen. Sicherer geht’s fast nicht mehr.

Tipp Nr. 6: Kartensperre und neu Karte ganz easy bei virtueller Revolut-Karte

Viele kennen es. Sperrt das Kreditkartenunternehmen die Kreditkarte selbst, weil es irgendwelche ungewöhnliche, möglicherweise kriminelle Transaktionen feststellt, oder verliert man die Kreditkarte und muss sie selber sperren lassen, dauert es in der Regel Tage, bis man die neue Kreditkarte erhält. Beim britischen Fintech-Unternehmen «Revolut» geht das jedoch bei der virtuellen Debit- bzw. Kreditkarte in der App hingegen zack, zack! Entweder sperrt Revolut die Kreditkarte selbst und man kann sie entweder über die App sofort wieder entsperren oder man erhält über die App sogleich eine neue.

Zu Revolut aber auch noch eine Warnung. Meine Erfahrung zeigt, dass die Kommunikation mit Revolut umständlich ist, teilweise sogar über virtuelle Assistenten, sogenannte Bots läuft. Dagegen ist es in der Regel einfach, mit den Hotlines von Kreditkartenfirmen zu telefonieren und z.B. falsche oder missbräuchliche Transaktionen zu regeln. Ich würde darum keinen zu grossen Betrag auf das Konto der Revolut-Debitkarte einzahlen.

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