AGBs und Datenschutzerklärungen als Pop-ups direkt in Apps und E-Commerce

«30 Arbeitstage zum Lesen von AGBs und Datenschutzerklärungen …»

Gemäss Professor Gerd Gigerenzer zeigen Studien, dass man 30 Arbeitstage (sic!) bräuchte, wenn man alle Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) lesen würde, auf die man über das Jahr hinweg hingewiesen wird (s. Gerd Gigerenzer in Magazin «philosophie» 07.10.2021). Dies gilt natürlich auch für all die Datenschutzerklärungen. Damit sind die herkömmlichen AGBs und Datenschutzerklärungen ein untaugliches Mittel zur Information der User. Gigerenzer verlangt deshalb gesetzliche Vorschriften für kurze, verständliche AGBs, wie sogenannte «One-Pager». Eine aktuelle Untersuchung der University of Pennsylvania zum Datenschutz-Verständnis von User (Annenberg School for Communication of University of Pennsylvania, Americans can’t consent to companies use of their data, 02.2023) kommt zudem zum Schluss, dass die User, auch wenn sie Datenschutzerklärungen lesen, nicht verstehen, was die Datenerhebung und Datenverarbeitung durch die besuchten Internet-Plattformen für sie überhaupt bedeuten (s. The New York Times 07.02.2023, Americans Flunked This Test on Online Privacy).

AGBs und Datenschutzerklärungen als Pop-ups direkt in Apps und E-Commerce

Ich bin absolut der Meinung von Professor Gigerenzer. Jedoch ist davon auszugehen, dass auch die von Gigerenzer verlangten «One-Pager» von den Usern nicht gelesen werden. Damit AGBs und Datenschutzerklärungen von den Usern aktiv wahrgenommen und verstanden werden, müssen sie direkt in den Applikationen und E-Commerce an den Stellen aufpoppen, an denen Daten erhoben oder verarbeitet werden und den Usern muss z.B. über weiterführende Links deren genaue Funktion erklärt werden. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 2 ZGB) braucht es dann auch den für User lästigen «Cookie- bzw. Okay-Button» nicht. Dieser gehört ebenfalls zum Nonsens im Online-Datenschutz (!).

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.hslu.ch, www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch, www.intla.ch, www.twitter.com/juristenfutter

Können im Metaverse Verträge gültig abgeschlossen werden?

Das Metaversum oder englisch das Metaverse ist sozusagen die Weiterentwicklung des Internets. Einerseits werden mit dem Metaverse verschiedene Bereiche des Internets und andererseits das Internet mit einer virtuellen Welt (Virtual Reality, VR) oder diese untereinander bzw. diese mit der realen Welt verbunden (Mixed Reality, MR1)2. In Hinblick darauf, dass in diesem neuen Kontext auch Rechtsgeschäfte abgeschlossen werden, wird die juristische Frage diskutiert, ob im Metaverse ein Vertrag gültig abgeschlossen werden kann.

Welches Recht wird auf das Metaverse angewendet?

Wie schon beim Internet, wird, im Widerspruch zum Begriff des World Wide Web (WWW), auf Rechtsgeschäfte im Metaverse grossmehrheitlich nationales Recht angewendet.

Nachfolgend wird das auf einen, im Metaverse abgeschlossenen Vertrag anwendbare Recht aus schweizerischer Sicht bestimmt. Dafür kommt das schweizerische Gesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG) zur Anwendung.

Erstens können die Parteien beim Abschluss des Vertrages das anwendbare Recht selbst wählen (Rechtswahl)3. Das ist sogar sehr ratsam, damit diesbezüglich keine Diskussionen oder sogar Rechtsstreitigkeiten entstehen. Vereinbaren die Parteien kein anwendbares Recht, untersteht der Vertrag dem Recht des Staates, mit dem er am engsten zusammenhängt. Es wird vermutet, der engste Zusammenhang bestehe mit dem Staat, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung erbringen soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder, wenn sie den Vertrag aufgrund einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit geschlossen hat, in dem sich ihre Niederlassung befindet. Als charakteristische Leistung gilt namentlich bei Veräusserungsverträgen (insb. Kaufverträgen) die Leistung des Veräusserers, bei Gebrauchsüberlassungsverträgen (z.B. Nutzung von Platz auf Servern bei Cloudverträgen) die Leistung der Partei, die eine Sache oder ein Recht zum Gebrauch überlässt, beim Auftrag (z.B. Software-Wartungsvertrag), Werkvertrag (z.B. Software-Entwicklungsvertrag) und ähnlichen Dienstleistungsverträgen die Dienstleistung4. Der Arbeitsvertrag untersteht generell dem Recht des Staates, in dem die/der Arbeitnehmer/in gewöhnlich seine bzw. ihre Arbeit verrichtet5. Verträge über Immaterialgüterrechte (insb. Lizenzverträge) unterstehen generell dem Recht des Staates, in dem derjenige, der das Immaterialgüterrecht überträgt oder die Benutzung an ihm einräumt, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat6. Ein wichtiger Spezialfall sind die Verträge mit Konsumentinnen und Konsumenten (Business-to-Consumer, B2C). Diese unterstehen dem Recht des Staates, in dem der/die Konsument/in seinen bzw. ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn der Anbieter die Bestellung in diesem Staat entgegengenommen hat oder wenn in diesem Staat dem Vertragsabschluss ein Angebot oder eine Werbung vorausgegangen ist und die Konsumentin, der Konsument in diesem Staat die zum Vertragsabschluss erforderlichen Rechtshandlungen vorgenommen hat, oder wenn der Anbieter den/die Konsumenten/in veranlasst hat, sich ins Ausland zu begeben und seine bzw. ihre Bestellung dort abzugeben7. Eine Rechtswahl ist in Konsumentenverträgen ausgeschlossen (!).

Vertragsschluss im Metaverse nach schweizerischem Recht

Wird auf einen Vertrag und dessen Abschluss im Metaverse schweizerisches Recht angewendet, kommen insbesondere Art. 1 und 11 des Obligationenrechts (OR) zur Anwendung.

Gemäss Art. 1 OR ist zum Abschluss eines Vertrages eine übereinstimmende gegenseitige Willenserklärung der Parteien erforderlich. Die Willensäusserung kann eine ausdrückliche oder eine stillschweigende sein8. Parteien können jedoch nur natürliche oder juristische Personen gemäss Art. 11 ff. des Zivilgesetzbuches (ZGB) sein. Wird für den Vertragsschluss im virtuellen Raum ein Avatar9 eingesetzt, ist dieser m.E. Mittel zum Zweck und derjenige bzw. diejenige, die diesen einsetzt, bestimmt entweder dessen Handlungen direkt oder muss sich dessen Handlungen anrechnen lassen.

Nach Art. 11 OR können Verträge generell formlos abgeschlossen werden, ausser das Gesetz verlangt für einen bestimmten Vertrag eine bestimmte Vertragsform (z.B. Beurkundung bei einem Grundstückkauf). Ist letzteres der Fall, hängt die Gültigkeit des Vertrages von der Einhaltung der Form ab10. D.h. insbesondere, dass die wichtigsten Verträge im digitalen Raum, insbesondere der Lizenzvertrag (mittlerweile wohl der meist abgeschlossene Vertrag!), der Vertrag über den Kauf von beweglichen Sachen (≠ Grundstücke), der Auftrag, der Werkvertrag und sogar der Arbeitsvertrag (ausser der Lehrvertrag) ohne besondere Form, also auch digital im Metaverse abgeschlossen werden können.

Prüfung der Identität von Vertragspartnern im Metaverse

Wie schon bisher im Internet ist die Prüfung der Identität eines Vertragspartners auch im Metaverse wichtig, aber auch eine Herausforderung, insbesondere auch beim Einsatz von Avataren. Eine Hilfe kann dabei die qualifizierte digitale Signatur nach schweizerischem Recht sein11. Zu beachten ist, dass diese nur dann gültig ist, wenn auf das Vertragsverhältnis schweizerisches Recht zur Anwendung kommt.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Verträge nach schweizerischem Recht im Metaverse problemlos abgeschlossen werden können, ausser das Gesetz verlangt bei wenigen Ausnahmen die Einhaltung einer bestimmten Form. Damit ist für den neuen Kontext des Metaverse keine Gesetzesanpassung notwendig, ausser der Gesetzgeber möchte, dass inskünftig z.B. auch Beurkundungen online bzw. im Metaverse durchgeführt werden können.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.hslu.ch, www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch, www.intla.ch, www.twitter.com/juristenfutter

1 https://de.wikipedia.org/wiki/Mixed_reality
2 https://de.wikipedia.org/wiki/Metaversum
3 Art. 116 IPRG
4 Art. 117 IPRG
5 Art. 121 IPRG
6 Art. 122 IPRG
7 Art. 120 IPRG
8 s. dazu auch digilaw.ch 04.01 Zustandekommen eines Vertrages
9 Avatar: eine künstliche Person oder eine Grafikfigur, die einem Internetbenutzer in der virtuellen Welt zugeordnet wird (https://de.wikipedia.org/wiki/Avatar_(Internet))
10 s. dazu auch digilaw.ch 04.03 Form von Verträgen
11 s. dazu auch digilaw.ch 04.04 Qualifizierte digitale Signatur

Citibank – Dilemma in the digital world!

An amazing story that happened to Ueli Grüter, attorney-at-law, lecturer at Lucerne University of Applied Sciences and Arts, that shows that when the digital systems, like apparently Citibank’s online banking or Fin Tech, are not particularly smart, you end up having to go back to the offline world … and to instruct lawyers to settle the matter!

In 2010, while studying in Boston (MA/USA), I opened a bank account with the US Citibank, one of the largest financial services providers in the world, including a debit card, which had an advantage at the time, especially in US online shops. I entered the address of our partner law firm in Boston as my domicile. Since I used the account and debit card exclusively digitally, as is common today, the physical address was irrelevant, except for the delivery of the new debit card, when this has expired. I had the latter sent to Switzerland in each case. In the meantime, however, the partner firm in Boston at the time has apparently dissolved, which I was not aware of, and I did not take into account that the debit card expired last year and I did not provide Citibank a new address for the delivery of the new debit card. When I wanted to access my Citibank account online in February this year, Citibank tightened the security for the login and now requires the number of the debit card too. However, as this has just expired, the system no longer accepted the card number and gave the feedback: Oops, something went wrong, try again later … Since I don’t really need the Citibank account any more, I want to close it. To do this, however, I would have to have access to the online banking, which I don’t have because my debit card has expired. The Citibank telephone hotline advised me to ask Citibank to close the account by post and to transfer the balance to a Swiss bank account in my favour. I did that more than a month ago, even by registered letter. The Swiss post office confirmed that the letter had was sent to the USA. However, the Citibank telephone hotline has just told me that this letter is not registered with Citibank. I could also close the account by phone. They would then send me the balance in my favour as a check (sic!) to my (no longer valid!) address in Boston. However, a change of the address is not possible by phone, especially because the telephone hotline cannot send me an SMS to Switzerland for further necessary identification. So this is the classic dilemma in the digital world! »Dispute Resolution and Law Enforcement in the Digital World» is a chapter in my textbook www.digilaw.ch. But the crazy thing is that when the digital systems, like apparently Citibank’s online banking, are not particularly smart, you end up having to go back to the offline world. I have now asked our partner law firm in New York (also Citibank’s headquarters) to take care of the matter for me offline …

By the way, Citibank also has a branch in Switzerland. However, it tells me that it has nothing to do with business in the USA …

To be continued …

Ueli Grüter, LL.M., attorney-at-law, university lecturer, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch, www.intla.ch

Verstösst Birkenstock gegen Schweizer Geoblocking-Verbot?

In einem Artikel vom 21. März 2022 auf juristenfutter.ch habe ich das Schweizer Geoblocking-Verbot gemäss Art. 3a Lauterkeitsgesetz (UWG) erläutert. Heute habe ich nun versucht bei Birkenstock bzw. deren Birkenstock digital GmbH in deren Online-Shop in Deutschland (www.birkenstock.com/de) einzukaufen. Die entsprechenden Sandalen kosten in diesem Shop EUR 115 inkl. MwSt. Als ich jedoch den Kauf abschliessen wollte, wurde meine Adresse in der Schweiz nicht akzeptiert. In der Folge suchte ich «Birkenstock» auf «Google» und wurde auf den Schweizer Online-Shop von Birkenstock (www.birkenstock.com/ch) verwiesen. Dort kosten die gleichen Sandalen jedoch CHF 130 inkl. MwSt. D.h. Birkenstock blockt Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten auf ihrem deutschen Online-Shop und verkauft diesen in ihrem Schweizer Online-Shop die gleichen Sandalen 10 % teurer (!). Berücksichtigt man auch noch die Differenz der Mehrwertsteuer von 11.3 % (DE: 19 %; CH: 7.7 %), verkauft Birkenstock die entsprechende Sandale in ihrem Schweizer Online-Shop sogar 20 % teurer (sic!). Dies ist m.E. ein klarer Verstoss gegen das Schweizer Geoblocking-Verbot bzw. Art. 3a UWG, wenn Birkenstock diese enorme Preisdifferenz nicht sachlich begründen kann. An den Versandkosten kann es nicht liegen. Diese bezahle ich als Schweizer Kunde, im Gegensatz zu den Kunden in Deutschland, noch zusätzlich …

Ich habe darum die Birkenstock digital GmbH gebeten, zum Geoblocking und zur enormen Preisdifferenz Stellung zu nehmen. Zudem habe ich den Case, wie im Artikel zum Geoblocking-Verbot erläutert, dem Staatssekretariat für Wirtschaft SECO zur Abklärung gemeldet (https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Werbe_Geschaeftsmethoden/Unlauterer_Wettbewerb/Beschwerde_melden/Beschwerde_unlautere_Geschaeftspraktiken.html).

Fortsetzung folgt …

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch, www.intla.ch

Aktualisiert am 16. April 2022

Schweizer Geoblocking-Verbot

Parlament gebärt «Tiger ohne Zähne»

Zu Beginn dieses Jahres wurde mit dem neuen Artikel 3a des Lauterkeitsgesetzes (UWG) ein Verbot zur Diskriminierung im Fernhandel (Internet, Telefon, Katalog) von Kunden in der Schweiz in Kraft gesetzt. Mit diesem Artikel hat das schweizerische Parlament im März letzten Jahres jedoch einen «Tiger ohne Zähne» geboren. Da ein Verstoss gegen die neue Regelung nicht strafbar ist, können Konsumentinnen und Konsumenten nicht einfach eine Strafanzeige einreichen, sondern müssten sich in einem kostspieligen Zivilprozess zur Wehr setzen. Das ist eine absolute Illusion. Damit dürfte das «Geoblocking-Verbot», wie z.B. schon das bisherige Datenschutzgesetz, höchstens eine «homöopathische» Wirkung zeigen …

Gemäss Art. 3a UWG handelt unlauter, wer im Fernhandel (Internet, Telefon, Katalog) ohne sachliche Rechtfertigung einen Kunden in der Schweiz aufgrund seiner Nationalität, seines Wohnsitzes, des Ortes seiner Niederlassung, des Sitzes seines Zahlungsdienstleisters oder des Ausgabeorts seines Zahlungsmittels:

  • beim Preis oder bei den Zahlungsbedingungen diskrimi­niert;
  • ihm den Zugang zu einem Online-Portal blockiert beziehungsweise be­schränkt («Geoblocking»);
  • ihn ohne sein Einverständnis zu einer anderen als der ursprünglich aufgesuchten Version des Online-Portals weiterleitet.

Diese Aufzählung ist alternativ. Ist also einer der drei Tatbestände erfüllt, ist Art. 3a UWG verletzt.

Was eine Diskriminierung bei Preis oder Zahlungsbedingungen ist, hat der Gesetzgeber nicht definiert. So dürfte es zulässig sein, dass ein Anbieter zu höheren Preisen in die Schweiz liefert, wenn er dies sachlich begründen kann, z.B. mit entsprechenden Logistikkosten. Selbstverständlich ist es einem Anbieter auch unbenommen, überhaupt nicht in die Schweiz zu liefern.

Keine Anwendung auf Netflix & Co.

Unbegreiflich ist auch der umfangreiche Katalog von Ausnahmen, der insbesondere audiovisuelle Dienste von der Regelung ausnimmt, wie z.B. Netflix und Spotify. Keine Anwendung findet das Diskriminierungsverbot auch auf nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse; Dienstleistungen im Finanzbereich; Dienstleistungen der elektronischen Kommunikation; Dienstleistungen des öffentlichen Verkehrs; Dienstleistungen von Leiharbeitsagenturen; Gesundheitsdienstleistungen; Glücksspiele, die einen geldwerten Einsatz verlangen, einschliesslich Lotterien, Glücksspiele in Spielbanken und Wetten; private Sicherheitsdienste; soziale Dienstleistungen aller Art; Dienstleistungen, die mit der Ausübung hoheitlicher Gewalt verbunden sind; Tätigkeiten von Notaren sowie von Gerichtsvollziehern, die durch staatliche Stellen bestellt werden.

«Tiger ohne Zähne»

Das Verbot des Geoblockings nach Art. 3a UWG ist ein «Tiger ohne Zähne» (!). Im Gegensatz insbesondere zu den Tatbeständen von Art. 3 UWG, nota bene den Bestimmungen zum sog. Spamming und zu den Informationen im E-Commerce, ist eine Verletzung des Geoblockings nach Art. 3a UWG gemäss Art. 23 UWG nicht strafbar. Konsumentinnen und Konsumenten müssten also im konkreten Fall gemäss Art. 9 ff. UWG einen Zivilprozess anstrengen, der enorme Kosten verursachen kann (s. dazu digilaw.ch) und damit als Rechtsmittel illusorisch ist.

Support durch Konsumentenschutzorganisationen und Bund

Immerhin können nach Art. 10 UWG auch Konsumentenschutzorganisationen und der Bund klagen. Der Stiftung für Konsumentenschutz können Verstösse gegen Art. 3a UWG unter folgendem Link gemeldet werden: https://findmind.ch/c/xH1g-yK59. Beim Bund können Beschwerden unter folgendem Link angezeigt werden: https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Werbe_Geschaeftsmethoden/Unlauterer_Wettbewerb/Beschwerde_melden/Beschwerde_unlautere_Geschaeftspraktiken.html. Beide Organisationen werden aktiv, wenn eine grössere Anzahl Beschwerden eingegangen sind.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch, www.intla.ch

Aktualisiert am 15. April 2022

«Viagogo» – Spielverderber der Event-Industrie

Ebay, Instagram, die schweizerische tutti.ch sind Online-Plattformen, auf denen Private, teilweise aber auch Profis Waren verkaufen und kaufen. Die Plattformen sind äusserst beliebt und niemand regt sich darüber auf. Viagogo ist auch eine solche Plattform. Nur werden dort nicht Waren, sondern Tickets für Events, wie Konzerte, Fussballspiele und Zirkusaufführungen verkauft und gekauft. Viagogo selbst verkauft nichts, sondern stellt lediglich die entsprechende Handelsplattform zur Verfügung. Im Gegensatz zu den Waren-Handels-Plattformen scheint die Ticket-Handels-Plattform Viagogo ein grosses Ärgernis zu sein. Konsumentinnen und Konsumenten beschweren sich bei Medien und beim Bund.

Bund und Zirkus Knie klagen gegen Viagogo

Die Schweizerische Eidgenossenschaft bzw. wohl das damit beauftragte Staatssekretariat für Wirtschaft SECO reichte in der Folge im Jahre 2017 beim Handelsgericht des Kantons Zürich gegen Viagogo eine Klage wegen unlauteren Wettbewerbs ein. 2020 klagte dann auch noch der Zirkus Knie beim Handelsgericht des Kantons St. Gallen, ebenfalls wegen unlauteren Wettbewerbs und zusätzlich wegen Verletzung der Marken «Knie» bzw. «Circus Knie». In der Sache Schweizerische Eidgenossenschaft vs. Viagogo AG entschied das Schweizerische Bundesgericht letztinstanzlich mit Urteil vom 1. Dezember 2020 (4A_235/2020). In der Sache Gebrüder Knie, Schweizer National-Circus AG Rapperswil vs. Viagogo AG, entschied das Handelsgericht des Kantons St. Gallen am 24. Februar 2021 (HG.2018.181-HGK). Diesen Entscheid hat Viagogo an das Bundesgericht weitergezogen. Dort ist die Sache zum Zeitpunkt der Redaktion dieses Artikels noch hängig.

Tele1: Sind die Geschäftspraktiken von Viagogo legal?

Da sich auch der Zirkus Monti, der aktuell in Luzern gastiert, über die Geschäftspraktiken von Viagogo aufregt, wollte Tele1 von mir wissen, wie ich die Sache aus juristischer Sicht einschätze. Ich habe dafür die genannten Entscheide von Bundesgericht und Handelsgericht des Kantons St. Gallen studiert. Aus diesen Gerichtsentscheiden sind insbesondere folgende Punkte bemerkenswert.

Ueli Grüter, Rechtsanwalt, Dozent Hochschule Luzern, mit einer juristischen Einschätzung der Geschäftspraktiken der Online-Ticket-Handelsplattform Viagogo in den Nachrichten von Tele1 vom 21.09.2021

  • Viagogo darf im Zusammenhang mit der Ticket-Handels-Plattform alles publizieren, was zutreffend ist, auch wenn es den Event-Veranstaltern nicht in den Kram passt.
  • Die Konsumentinnen und Konsumenten können auf der Plattform von Viagogo klar erkennen, dass es sich um eine Wiederverkaufsplattform und nicht um die Plattform der Event-Veranstalter handelt.
  • Als Ticket-Handels-Plattform kann Viagogo nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn Tickets allenfalls ungültig, gefälscht oder personalisiert sind, und darum allenfalls kein Zugang gewährt ist. Ergänzen muss man hier aber aus der Rechtsprechung zur Verantwortlichkeit von Internet-Access-Provider, dass Viagogo verpflichtet ist, in den Handel einzugreifen, sollten Viagogo entsprechende Probleme bekannt werden.
  • Wenn Viagogo effektiv Tickets des Zirkus Knie verkauft, darf Viagogo in der Werbung auch die Bezeichnung bzw. Marke «Knie» verwendet; auch in Zusammenhang mit Anzeigen auf Google, auch als gekaufte Suchwörter. Darum ist auch nicht zu beanstanden, wenn das Angebot von Viagogo bei der Google-Suche vor dem Angebot des Event-Veranstalters erscheint.
  • Die Verwendung von Countdowns und andere Verkaufsmethoden, die Konsumentinnen und Konsumenten etwas unter Druck setzen, sind gemäss Bundesgericht grundsätzlich explizit zulässig. 
  • Nicht zulässig ist dagegen der generelle Hinweis, eine Vorstellung sei «ausverkauft», wenn es beim Event-Veranstalter selbst noch Tickets gibt.

Bundesgericht schlägt sich auf Seite von Viagogo

Abgesehen davon, dass die Rechtsschriften (Klage, Beschwerde) des Bundes bzw. des SECO offensichtlich überaus mangelhaft waren und darum vom Bundesgericht heftig kritisiert wurden, scheint das Bundesgericht mit der Ticket-Handels-Plattform und der entsprechenden Geschäftspraktiken keinerlei Mühe zu haben. Das Gericht hat denn auch die Beschwerde von Bund bzw. SECO vollumfänglich abgewiesen, soweit es überhaupt darauf eingetreten ist. Es ist damit m.E. davon auszugehen, dass Viagogo auch in der Sache «Knie» vor Bundesgericht wohl weitgehend Recht bekommen wird. Die Event-Industrie wird mit Viagogo und anderen Ticket-Handels-Plattformen leben müssen.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.schneiderfeldmann.legal, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch

Keine Kreditkarte über die eigene Bank!

Tipps vom Rechtsanwalt zur Verwendung von Kreditkarten

Ferienzeit ist Kreditkartenzeit. Es werden Fälle von Kreditkartenmissbrauch an mich als Rechtsanwalt herangetragen. Und die Leute wollen wissen, ob ich ihnen juristische Tipps bei der Verwendung von Kreditkarten hätte. Ja, die habe ich, auch wenn sie mehr taktischer, als juristischer Natur sind.

Tipp Nr. 1: Keine Kreditkarte über die eigene Bank!

Soeben haben die Schweizer Banken ihre Kundenkarten zu Karten transformiert, die wie Debit- oder Kreditkarten verwendete werden können, mit denen z.B. auch im Internet bzw. E-Commerce eingekauft werden kann. Insbesondere Kunden, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, haben nun eine Debit- oder Kreditkarte, die direkt über ihr Bankkonto abgerechnet wird. Auch wenn dies über Lastschrift erfolgt, wo der Kunde die Abbuchung auf dem Konto allenfalls widerrufen kann, besteht das faktische Problem, dass im Streitfall mit der Bank der Kunde das Geld «zurückklagen» muss. Hat man jedoch eine Kreditkarte von einem Anbieter, der von der eigenen Bank unabhängig ist, wie z.B. Cornèr, wird der streitige Betrag zwar der Kreditkarte belastet, jedoch nicht dem Bankkonto. In diesem Fall müsste dann der Kreditkarten-Anbieter gegen den Kunden klagen und nicht umgekehrt. Das ist mindesten ein taktischer Vorteil.

Tipp Nr. 2: Debitkarten statt Kreditkarten verwenden

Der Vorteil von Debitkarten, gegenüber Kreditkarten ist, dass nicht mehr bezogen werden kann, als einbezahlt wurde. Der Nachteil ist dabei jedoch, dass man die Debitkarte immer wieder «nachfüllen» muss. Die Kreditkarte mit Kreditlimit hat die gleiche Wirkung, ohne dass man immer wieder Beträge nachladen muss (s. dazu nachfolgend).

Tipp Nr. 3: Kreditlimit auf Kreditkarten reduzieren

In jedem Fall sollte bei Kreditkarten das Kreditlimit auf einen Betrag reduziert werden, der nicht höher ist, als der effektive Bedarf pro Tag oder Monat. Bei den meisten Anbietern kann z.B. vor Ferien das Kreditlimit temporär erhöht werden.

Tipp Nr. 4: Nur virtuelle Debit- oder Kreditkarten verwenden

Virtuelle Debit- oder Kreditkarte, wie die schweizerische Lösung «Twint»* oder «Apple Pay» oder «Google Pay» haben den enormen Vorteil, dass sie mindestens physisch nicht geklaut werden können. Seit Corona sind mir auch keine Bezahlterminals mehr begegnet, bei denen ich nicht kontaktlos hätte zahlen können. Um allenfalls in den Ferien doch noch Bargeld mit der Kreditkarte zu beziehen, kann man diese ja mitnehmen, jedoch im Safe im Hotelzimmer zurücklassen.

*Extra-Tipp: Bei der Twint-App von UBS kann man irgend eine Kreditkarte hinterlegen, also auch eine solche, die nicht von UBS kommt, was bei den Apps der anderen Banken nicht geht, und man muss auch nicht, wie bei der App von Twint selber, vorab einen Betrag einzahlen. Vielen Dank, UBS :-)!.

Tipp Nr. 5: Virtuelle Einwegkarte bei unsicheren Anbietern verwenden!

Eine ganz clevere Lösung für die Bezahlung bei unsicheren Anbietern bietet u.a. das britische Fintech-Unternehmen «Revolut» an: die Einwegkarte. Dabei handelt es sich um eine Debitkarte, die wie eine Kreditkarte u.a. im E-Commerce, aber u.a. auch über «Twint», «Apple Pay» und «Google Pay» verwendet werden kann. Nach jedem Gebrauch wird die Kreditkarte jedoch gelöscht und für den nächsten Einkauf kann man auf der Revolut-App ganz einfach eine neue Einwegkarte holen. Sicherer geht’s fast nicht mehr.

Tipp Nr. 6: Kartensperre und neu Karte ganz easy bei virtueller Revolut-Karte

Viele kennen es. Sperrt das Kreditkartenunternehmen die Kreditkarte selbst, weil es irgendwelche ungewöhnliche, möglicherweise kriminelle Transaktionen feststellt, oder verliert man die Kreditkarte und muss sie selber sperren lassen, dauert es in der Regel Tage, bis man die neue Kreditkarte erhält. Beim britischen Fintech-Unternehmen «Revolut» geht das jedoch bei der virtuellen Debit- bzw. Kreditkarte in der App hingegen zack, zack! Entweder sperrt Revolut die Kreditkarte selbst und man kann sie entweder über die App sofort wieder entsperren oder man erhält über die App sogleich eine neue.

Zu Revolut aber auch noch eine Warnung. Meine Erfahrung zeigt, dass die Kommunikation mit Revolut umständlich ist, teilweise sogar über virtuelle Assistenten, sogenannte Bots läuft. Dagegen ist es in der Regel einfach, mit den Hotlines von Kreditkartenfirmen zu telefonieren und z.B. falsche oder missbräuchliche Transaktionen zu regeln. Ich würde darum keinen zu grossen Betrag auf das Konto der Revolut-Debitkarte einzahlen.

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EU verschärft Regeln für digitale Services und digitalen Markt

Ueli Grüter zu den neuen EU-Regeln in der Tagesschau von SRF 15.12.2020

Nach den harten Auseinandersetzungen von EU-Wettbewerbskommissarin und EU-Kommission-Vizepräsidentin Margrethe Vestager («Schrecken des Silicon Valley») mit den US-amerikanischen Tech-Giganten (u.a. Google, Apple, Facebook und Amazon, zusammen kurz auch als «Gafa» bezeichnet) mit Bussen in Milliardenhöhe (s. Kartellrecht – Big Players sind Opfer ihres eigenen Erfolgs) geht es nun um einen erneuten «Hoselupf» der EU-Kommission mit den Big Player der digitalen Welt.


«Es wird sich jetzt zeigen, wer die Regeln setzt und wer sie durchsetzt.»
Ueli Grüter in der Tagesschau von SRF vom 15.12.2020


Die über 20-jährigen Regeln der EU-E-Commerce-Richtlinie werden mit dem Digital Services Act (DSA) und dem Digital Markets Act (DMA) den enormen Entwicklungen bei den digitalen Dienstleistungen und in den digitalen Märkten angepasst. Illegale Praktiken und Informationen sollen von den digitalen Services und Märkten ferngehalten werden. Zudem soll ein fairer Zugang aller Anbieter bei den digitalen Services und Märkten gewährleistet werden.

Bedeutung für Unternehmen

Grundsätzlich gelten die neuen Regeln natürlich für alle Anbieter in der EU. Faktisch will aber die EU-Kommission insbesondere die Big Player der digitalen Welt «Gafa» (s. vorne) dazu zwingen, pro-aktiv die Ziele des neuen Regel-Pakets umzusetzen. Tun sie es nicht, drohen ihnen ähnlich drastische Strafen, wie sie bereits aus dem EU-Kartell- und Datenschutzrecht bekannt sind. Jene gehen für die Grossen in die Milliarden. Mit den neuen Regeln droht ihnen bei besonderer Renitenz sogar der Ausschluss aus dem Markt.

Bedeutung für Konsumentinnen und Konsumenten

Wie schon durch das EU-Kartell- und Datenschutzrecht werden nun auch durch die neuen Regeln für die digitalen Services und Märkte die Rechte der Konsumentinnen und Konsumenten gestärkt.

Bedeutung für die Schweiz

Auch wenn unser Land nicht Mitglied der EU ist, sind die neuen Regeln für digitale Services und digitale Märkte auch für die Schweiz in dreifacher Hinsicht von Bedeutung. Erstens müssen sich natürlich auch Schweizer Unternehmen, wenn sie in der EU tätig sind, an diese neuen Regeln halten. Zweitens werden insbesondere die Big Player sich auch in Bezug auf die Schweiz an dieselben Regeln halten. Die Schweiz gehört für diese zur «Europäischen Region» und es lohnt sich für sie nicht, für die Schweiz eigene Regeln zu definieren und anzuwenden (s. dazu WhatsApp-Mindestalter 16 gilt auch für Schweiz). Drittens hat neues EU-Recht immer auch eine Reflexwirkung auf das schweizerische Recht. Dies hat man gerade jüngst im Datenschutz gesehen, in dem das schweizerische Recht an die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) angepasst hat. Da hat man aber auch gesehen, dass die Schweiz in der Regel weniger weit geht, als die EU, z.B. bei den Bussen.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.schneiderfeldmann.legal, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch

Aktualisiert am 25. Februar 2021

Ombudsstelle – In der Hitze des Gefechts geht sie oft vergessen

Versicherungs-Ombudsmann Martin Lorenzon (Quelle SRF)

In einem Interview in Blick-Online vom 8. August 2020 erklärt der Ombudsmann der Privatversicherung und der SUVA, dass seine Ombudsstelle in über 50 % der Fälle, in denen sie zwischen den Versicherten und den Versicherungen vermittle, zugunsten der Versicherten erfolgreich sei. Das zeigt, dass es sich lohnen kann, das in der Regel kostenlose Mittel der Ombudsstelle bei Streitigkeiten anzurufen. Dies geht in der Hitze des Gefechts in juristischen Auseinandersetzungen oft vergessen.

Methode zur Vermeidung eines Gerichtsprozesses

Das Institut der Ombudsstelle gehört zu den alternativen Streitbeilegungs-Methoden (engl. Alternative Dispute Resolution, ADR), wie Mediation und Schiedsgerichtsbarkeit (engl. Arbitration). Bei diesen Methoden geht es darum, wenn immer möglich eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden. Denn eine solche ist langwierig und teuer und somit der Worst Case.

Einrichtungen einer Branche

Ombudsstelle werden in der Regel von einer Branche selbst eingerichtet, da auch Unternehmen oder eben auch Organisationen, wie die SUVA, ein Interesse daran haben, gerichtlichen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen.

Gut vorbereitet zur Ombudsstelle

An eine Ombudsstelle kann man sich auch ohne Vertretung durch einen Rechtsanwalt bzw. eine Rechtsanwältin wenden. Jedoch sollte man den Sachverhalt so klar als möglich darlegen und alle notwendigen Belege dafür beilegen.

Liste von Schweizer Ombudsstellen

In der Schweiz gibt es mittlerweile in vielen Branchen eine Ombudsstelle. Nachfolgendes Liste zeigt eine nicht abschliessende Übersicht mit direktem Link zur Website der entsprechenden Stelle mit deren Kontaktdaten.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.schneiderfeldmann.legal, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch

Migros-Online-Shop liefert nicht – Kann man Bestellung widerrufen?

Am 5. Juli 2020 habe ich bei der Migros-Tochter Melectronics ein Produkt bestellt. Melectronics hat mir in einer Bestellbestätigung mitgeteilt, das Produkt würde mir voraussichtlich am 10. Juli 2020 zugestellt. Am 13. Juli 2020 habe ich bei Migros nachgefragt, ob man mir das Produkt wohl noch zusenden werde. Darauf hat mir Migros im Klartext geantwortet, man sei im Moment mit Bestellungen und Anfragen überfordert und werde mir sobald als möglich ein Feedback senden. Zwischenzeitlich war ich in einer Melecronics-Filiale und habe das bestellte Produkt dort sofort kaufen können. Ich habe mich darum gefragt, ob ich die Bestellung bei Migros bzw. Melectronics widerrufen könne.

Bestellung ist juristisch eine Offerte

Grundsätzlich handelt es sich bei einer Bestellung in einem Online-Shop, falls ein Produkt per Post oder Kurier zugestellt werden muss, nicht um eine Annahme, sondern um eine Offerte des Kunden (mittelbarer Kauf nach Art. 7 des schweizerischen Obligationenrechts). D.h. der Vertrag mit dem Online-Shop kommt erst zustande, wenn der Online-Shop die Bestellung seinerseits vorbehaltslos bestätigt. Dies tun Online-Shops in der Regel jedoch gerade nicht. Sie bestätigen lediglich, dass die Bestellung eingegangen sei und dass man den Kunden wieder informieren werde. Melectronics halten in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) sogar explizit fest: Ein Vertrag kommt erst durch den Versand der bestellten Produkte bzw. Vereinbarung des Liefertermins bzw. Zustellung der Abholeinladung zustande. Sobald die Bestellung versendet wurde, wird dies dem Kunden per E-Mail mitgeteilt.

Kunde ist grundsätzlich an Bestellung gebunden

Der Kunde dagegen ist grundsätzlich an seine Bestellung bzw. eben Offerte solange gebunden, bis er nach dem Grunsatz von Treu und Glauben eine Annahme der Bestellung bzw. der Offerte erwarten darf (Art. 5 OR).

Insbesondere, wie im vorliegenden Fall der Bestellung bei Melectronics, wenn der Online-Shop Angaben zum Lieferungs-Datum macht, kann vom Kunden nach Treu und Glauben aber nicht erwartet werden, dass er über diesen Termin hinaus auf das bestellte Produkt warten muss.

Widerruf oder Rücksendung des Produkts

Ist der Kunden basierend darauf oder basierend auf der Regel von Art. 5 OR nicht mehr an seine Offerte bzw. Bestellung gebunden, kann er entweder explizit seine Bestellung widerufen (was zu empfehlen ist; E-Mail mit Empfangsbestätigung) oder dann später das bestellte Produkt einfach zurücksenden, mit dem Hinweis auf die Regel von Art. 5 OR.

Rückgaberecht gemäss AGB

Die AGB von Melectronics sehen darüber hinaus aber auch noch ein Rückgaberecht innert 30 Tagen vor; mit wenigen Ausnahmen. Selbstverständlich kann man ein Produkt, das man nicht mehr will, weil es zu spät geliefert wurde, auch basierend darauf zurücksenden.

Bestellen Sie grundsätzlich immer auf Rechnung

Zum Schluss noch ein rechtspraktischer Tip. Bestellen Sie wenn immer möglich auf Rechnung. In diesem Fall müsste der Online-Shop bei Problemen mit Bestellung und/oder Kauf aktiv gegen Sie vorgehen und Sie erparen sich die Umtriebe mit Ihrer Kreditkartenfirma; obwohl die Kreditkartenanbieter nach meiner Erfahrung in der Regel sehr kooperativ sind.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.gsplaw.ch, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch