EU verschärft Regeln für digitale Services und digitalen Markt

Ueli Grüter zu den neuen EU-Regeln in der Tagesschau von SRF 15.12.2020

Nach den harten Auseinandersetzungen von EU-Wettbewerbskommissarin und EU-Kommission-Vizepräsidentin Margrethe Vestager («Schrecken des Silicon Valley») mit den US-amerikanischen Tech-Giganten (u.a. Google, Apple, Facebook und Amazon, zusammen kurz auch als «Gafa» bezeichnet) mit Bussen in Milliardenhöhe (s. Kartellrecht – Big Players sind Opfer ihres eigenen Erfolgs) geht es nun um einen erneuten «Hoselupf» der EU-Kommission mit den Big Player der digitalen Welt.


«Es wird sich jetzt zeigen, wer die Regeln setzt und wer sie durchsetzt.»
Ueli Grüter in der Tagesschau von SRF vom 15.12.2020


Die über 20-jährigen Regeln der EU-E-Commerce-Richtlinie werden mit dem Digital Services Act (DSA) und dem Digital Markets Act (DMA) den enormen Entwicklungen bei den digitalen Dienstleistungen und in den digitalen Märkten angepasst. Illegale Praktiken und Informationen sollen von den digitalen Services und Märkten ferngehalten werden. Zudem soll ein fairer Zugang aller Anbieter bei den digitalen Services und Märkten gewährleistet werden.

Bedeutung für Unternehmen

Grundsätzlich gelten die neuen Regeln natürlich für alle Anbieter in der EU. Faktisch will aber die EU-Kommission insbesondere die Big Player der digitalen Welt «Gafa» (s. vorne) dazu zwingen, pro-aktiv die Ziele des neuen Regel-Pakets umzusetzen. Tun sie es nicht, drohen ihnen ähnlich drastische Strafen, wie sie bereits aus dem EU-Kartell- und Datenschutzrecht bekannt sind. Jene gehen für die Grossen in die Milliarden. Mit den neuen Regeln droht ihnen bei besonderer Renitenz sogar der Ausschluss aus dem Markt.

Bedeutung für Konsumentinnen und Konsumenten

Wie schon durch das EU-Kartell- und Datenschutzrecht werden nun auch durch die neuen Regeln für die digitalen Services und Märkte die Rechte der Konsumentinnen und Konsumenten gestärkt.

Bedeutung für die Schweiz

Auch wenn unser Land nicht Mitglied der EU ist, sind die neuen Regeln für digitale Services und digitale Märkte auch für die Schweiz in dreifacher Hinsicht von Bedeutung. Erstens müssen sich natürlich auch Schweizer Unternehmen, wenn sie in der EU tätig sind, an diese neuen Regeln halten. Zweitens werden insbesondere die Big Player sich auch in Bezug auf die Schweiz an dieselben Regeln halten. Die Schweiz gehört für diese zur «Europäischen Region» und es lohnt sich für sie nicht, für die Schweiz eigene Regeln zu definieren und anzuwenden (s. dazu WhatsApp-Mindestalter 16 gilt auch für Schweiz). Drittens hat neues EU-Recht immer auch eine Reflexwirkung auf das schweizerische Recht. Dies hat man gerade jüngst im Datenschutz gesehen, in dem das schweizerische Recht an die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) angepasst hat. Da hat man aber auch gesehen, dass die Schweiz in der Regel weniger weit geht, als die EU, z.B. bei den Bussen.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.schneiderfeldmann.legal, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch

Aktualisiert am 25. Februar 2021

Ist eine Maskenpflicht gegen Covid-19 rechtens?

Entscheidend ist der Grundsatz der Verhältnismässigkeit

Die Kantone Jura, Waadt und Genf haben sie bereits eingeführt, die übrigen Kantone fragen sich, ob sie der dringenden Empfehlung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) für eine generelle Maskenpflicht in Geschäften nachkommen sollen. Juristisch ist ein solcher starker Eingriff in die Rechte von Kundinnen und Kunden und des Verkaufspersonals dann zulässig, wenn die Massnahme verhältnissmässig im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Schweizerischen Bundesverfassung (BV) ist.

Verhältnismässig ist eine Massnahme dann, wenn sie in Bezug auf den angestrebten Zweck geeignet und notwendig ist. Geeignet ist eine Massnahme, wenn man damit den angestrebten Zweck effektiv erreichen kann. Notwendig ist eine Massnahme, wenn sie verhältnismässig im engeren Sinne ist, d.h. dass sich ein starker Eingriff in die Freiheit der Betroffenen nur dann rechtfertigen lässt, wenn es dafür erstens kein weniger einschneidendes Mittel gibt und zweitens der angestrebte Zweck besonders wichtig ist.

Mit der Maskenpflicht strebt man offensichtlich an, dass sich die Betroffenen gegenseitig nicht mit Covid-19 anstecken. Auch wenn Covid-19 in vielen Fällen einen relativ harmlosen Verlauf nimmt, gibt es auch zahlreiche Fälle, in denen die Betroffenen enorm leiden und sogar sterben. Zudem sind die Langzeitfolgen noch nicht bekannt. Basierend darauf lassen sich wohl auch einschneidende Massnahmen rechtfertigen. Im weiteren stellt sich die Frage, ob die Maskenpflicht in Geschäften ein geeignets und notwendiges Mittel ist, um die Infizierung mit Covid-19 zwischen Kunden untereinander oder zwischen Kunden und dem Verkaufspersonal zu verhindern. Dass zertifizierte Masken geeignet sind, um Übertragungen von Covid-19 zu verhindern, dürfte unbestritten sein. Die Geister scheiden sich jedoch bei der Frage, ob eine Maskenpflicht notwendig ist. Hendrik Streeck, Professor für Virologie und Direktor des Instituts für Virologie an der Medizinischen Fakultät der Uni Bonn, hat in einer Feldforschung herausgefunden, dass das Risiko der Ansteckung mit Covid-19 in Geschäften sehr gering ist (s. «Nordkurier» 02.04.2020 «Es gibt keine Gefahr, jemanden beim Einkaufen zu infizieren»). Effektiv bestätigt auch Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen in einem Interview bei «Blick», dass die Ansteckungsrate bei Migros-Angestellten per Anfang Mai 2020 «sehr tief» ist, d.h. ein paar Dutzend Fälle bei über 89’000 Mitarbeitenden. Dagegen hat das BAG seine lange Skepsis gegenüber einer Maskenpflicht nunmehr auch in Bezug auf Geschäfte abgelegt, verlangt anlässlich einer Medienkonferenz vom 30. Juli 2020 eine generelle Maskenpflicht in Geschäften und begründet dies mit dem starken Anstieg der Covid-19-Neuinfektionen. In einem Monitoring-Bericht des gleichen Tages (sic!) stellt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) fest, dass die Maskenpflicht «keinen oder nur einen kleinen Effekt» auf die Covid-19-Zahlen hat.

Verfügen müssten nun eine solche Maskenpflicht die Kantone, wobei es gemäss einer täglich aktualisierten Übersicht des Tages-Anzeigers Kantone gibt, die seit der Zählung ein paar Dutzend Infizierte hatten und teilweise seit Tagen oder sogar Wochen keine mehr. Mindestens in diesen Kantonen würde sich dann die Frage der Verhältnismässigkeit im engeren Sinne, also der Notwendigkeit stellen.

Primär ist die Einschätzung der Gefahr von Covid-19 eine medizinische Aufgabe, wobei es dabei, wie in allen Gebieten, auch hier divergierende Meinungen der Expertinnen und Experten gibt. Nichtsdestotrotz darf eine Covid-19 Massnahme nicht getrieben durch steigende Zahlen und die Erwartung der Bevölkerung verfügt werden, sondern trotz schwieriger Lage immer nur basierend auf den Grundsätzen des schweizerischen Rechts, konkret primär des Verfassungs-Grundsatzes der Verhältnismässigkeit. Ob dieser Grundsatz bei einem Entscheid einer kantonalen Behörde eingehalten wird, kann jederzeit auf Beschwerde von Betroffenen von einem Verwaltungsgericht geprüft und allenfalls eine entsprechende Verfügung aufgehoben werden – auch die Maskenpflicht.


Schweizerisches Bundesgericht nimmt zu Corona-Massnahmen Stellung

In drei Urteilen von Juni und Juli 2021* nimmt das Schweizerische Bundesgericht auch in grundsätzlicher Art zu Corona-Massnahmen Stellung.

Das Bundesgericht stellt fest, die in der angefochtenen kantonalen Verordnungen enthaltenen Massnahmen stellten «zumindest teilweise schwere Grundrechtseinschränkungen» dar. Namentlich das generelle Verbot für Veranstaltungen von mehr als zehn bzw. dreissig Personen sei ein schwerer Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Solche Eingriffe in die Grundrechte sind gemäss dem höchsten schweizerischen Gericht nur legitim, wenn sie unter anderem auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen. So sieht es die Bundesverfassung vor. Im konkreten Fall verwies das Bundesgericht auf Art. 40 des Epidemiengesetzes. Dieser besagt, dass die zuständigen kantonalen Behörden Massnahmen anordnen, um die Verbreitung übertragbarer Krankheiten in der Bevölkerung oder in bestimmten Personengruppen zu verhindern. Wohl sei dieser Gesetzesartikel sehr unbestimmt formuliert. Nicht geregelt würden etwa die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssten, um Massnahmen erlassen zu können. Dies sei mit Blick auf die schwere Vorhersehbarkeit einer Pandemie unausweichlich, müsse aber kompensiert werden. Und zwar mit höheren Anforderungen an die Verhältnismässigkeit. Es könnten nicht beliebig strenge Massnahmen ergriffen werden, um jegliche Krankheitsübertragung zu verhindern. Irgendwann sei die Verhältnismässigkeit nicht mehr gewahrt. Vielmehr sei eine Interessenabwägung vorzunehmen und nach dem akzeptablen Risiko zu fragen. Besonders zu beachten sei die Tatsache, dass Massnahmen jeweils aufgrund des aktuellen Wissensstandes getroffen werden müssten. Gerade bei Infektionskrankheiten sei es allerdings schwierig vorherzusehen, wie eine beschlossene Massnahme wirke. Deshalb müsse den Behörden beim Erlass von Corona-Massnahmen «ein relativ bedeutender Beurteilungsspielraum zugestanden werden». Die konkreten Beschwerden wies das Bundesgericht allesamt ab. Sowohl die Maskenpflicht in Geschäften und Supermärkten für Personen ab 12 Jahren als auch das teilweise Versammlungsverbot erachtete es als verhältnismässig. Beide Massnahmen seien geeignet, die Verbreitung einer Krankheit zu reduzieren. Der Vergleich der
Übersterblichkeit mit jener während einer starken Grippewelle oder die Feststellung, dass die Spitäler und Intensivpflegestationen nie überbelegt gewesen seien, sei nicht entscheidend. Sehr wohl aber, wie hoch die Zahlen dieser Parameter ohne Massnahmen ausgefallen wären. Dass dieser Nachweis nicht mit wissenschaftlicher Genauigkeit erbracht werden könne, liege auf der Hand. Zumindest aber sei es plausibel, anzunehmen, dass die Übersterblichkeit sowie die Belastung der Spitäler ohne Massnahmen höher gewesen wären. Die Maskenpflicht stellt für das Bundesgericht einen geringen Eingriff in die Grundrechte dar. Schliesslich sei sie auf Geschäfte und Supermärkte beschränkt gewesen und damit pro Person auf wenige Stunden pro Woche. Zudem habe man auch jederzeit im
Internet einkaufen können. Im Vergleich zu den im Epidemiengesetz vorgesehenen Schliessungen von Schulen oder anderen Einrichtungen sei die Maskentragpflicht weniger einschneidend, daher zulässig und gar erforderlich, um ebensolche Schliessungen zu vermeiden.

*Bundesgerichts-Urteile 2C_793/2020, 2C_941/2020 vom 8. 7. 2021 sowie 2C_8/2021 vom 25. 6. 2021

Quelle: NZZ 22.07.2021


Bild 16.10.2020 Berliner Verwaltungsgericht hebt Corona-Massnahme auf – Es kippt die 23-Uhr Sperrstunde. Das Gericht gibt Gastwirten recht, die gegen die Sperrstunde geklagt haben. Bei BILD LIVE erklärt Rechtsanwalt Niko Härting, der die Gastwirte vertritt, den Entscheid.


Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.schneiderfeldmann.legal, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch

Aktualisiert am 28. Juli 2021