Corona: Kein Zutritt, keine Arbeit ohne Impfung – ist das rechtens?

«Corona» fordert nicht nur die Politiker, Virologinnen und Daten-Analysten, sondern auch die Juristinnen und Juristen. Es stellen sich ganz neue rechtliche Fragen. Ist eine Covid-19-Tracing-App zulässig? Ist eine Maskenpflicht gegen Covid-19 rechtens? Und nun die neueste juristische Herausforderung: dürften Private den Zutritt zu Restaurants und Veranstaltungen von einer Impfung gegen Corona abhängig machen? Aber auch: dürfen Arbeitgeber ihre Mitarbeitenden zur Impfung verpflichten?


Wie ein Beitrag von Radio SRF vom 17. Dezember 2020 («Kein Zutritt ohne Impfung?») zeigt, sind sich Politikerinnen und Juristen in dieser Frage nicht nur nicht einig, sie haben aktuell im Prinzip keine Ahnung, wie man diese Frage beantworten soll.


Epidemiengesetz

Der Bundesrat kann gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. d des Epidemiengesetz (EpG) bei Vorliegen einer «besonderen Lage» nach Anhörung der Kantone Impfungen bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, bei besonders exponierten Personen und bei Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären. Nach Art. 22 EpG können Kantone Impfungen von gefährdeten Bevölkerungsgruppen, von besonders exponierten Personen und von Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären, sofern eine erhebliche Gefahr besteht. Diese gesetzliche Grundlage käme z.B. bei Pflegepersonal in Spitälern und Heimen zur Anwendung. Sie bildet aber wohl keine rechtliche Grundlage für Zutrittsbeschränkungen zu Restaurants und Veranstaltungen sowie für übrige Mitarbeitende.

Vertragsfreiheit

Der im genannten Beitrag von Radio SRF interviewte Professor Roger Rudolph, Arbeitsrechtler an der Uni Zürich, meint zu einer von Privaten verlangten Impfung für den Zutritt zu Restaurants und Veranstaltungen, dass es dazu bis dato keine «rechtliche Klärung» gebe. Seiner Meinung lasse es sich aber «mindestens vertreten», dass «in einer akuten Pandemiesituation» bei Dienstleistungen, für die ein erhöhtes Ansteckungsrisiko für Dritte bestehe, private Unternehmen zur Bedingung machen könnten, dass sie «den Vertrag nur schliessen», wenn eine Impfung nachgewiesen wird. Professor Rudolph nennt jedoch dafür keine gesetzliche Grundlage. Möglicherweise hat er damit den Grundsatz der Vertragsfreiheit gemäss Obligationenrecht gemeint. Sie gibt einer Person bzw. einem Unternehmen die Freiheit, innerhalb der Schranken des Gesetzes zu entscheiden, mit wem und mit welchem Inhalt sie bzw. es einen Vertrag abschliessen will. Die Person bzw. das Unternehmen hat also auch die Freiheit, mit jemandem keinen Vertrag bzw. kein Geschäft abzuschliessen bzw. die Bedingungen dafür zu diktieren, also z.B. eben den Nachweis einer Impfung.

Weisungsrecht des Arbeitgebers

Demgegenüber hat der Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern ein Weisungsrecht (Art. 321d OR). Basierend darauf kann der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer insb. verpflichten gewisse Regeln betr. Sicherheit und Hygiene einzuhalten. Gleichzeitig muss der Arbeitgeber aber auch das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmenden respektieren (Art. 28 ZGB). Dazu gehört auch die körperliche Integrität. Ein Eingriff in diese kann aber u.a. durch ein überwiegendes privates oder ein öffentliches Interesse gerechtfertigt sein. Ein überwiegendes privates Interesse könnte z.B. bei einem Service-Unternehmen, z.B. einer Fluggesellschaft, gegeben sein, das ohne Impfung seiner Mitarbeitenden das Vertrauen seiner Kundschaft und damit diese selbst verliert. Je nach Pandemielage könnte der Arbeitgeber die Impfung auch basierend auf einem öffentlichen Interesse anordnen. Allenfalls wird er dazu sogar basierend auf entsprechende Vorschriften (z.B. bundesrätliche Verordnung basierend auf Epidemiengesetz, s. vorne) verpflichtet werden.

Bundesrat: keine Stigmatisierung

Bundesrat und Gesundheitsminister Alain Berset schränkt jedoch die Meinung von Professor Rudolph zurecht ein, in dem er im genannten Radio-Beitrag sagt, die Vertragsfreiheit gelte insbesondere im Fall des Nachweises einer Corona-Impfung nicht generell. So sei z.B. zu unterscheiden, ob eine Disco den Zutritt von einem Impfnachweis abhängig mache oder ein Lebensmittelgeschäft. Obwohl Bundesrat Berset dies nicht weiter ausführt, meint er wohl damit, dass der Eingriff beim Lebensmittelgeschäft für den Betroffenen viel einschneidender sei, als bei der Disco und damit nicht zulässig, da der Betroffene beim Lebensmittelgeschäft damit von der Beschaffung von lebensnotwendigen Gütern abgeschnitten werde und es in diesem Bereich auch nicht eine unbeschränkte Auswahl von Anbietern gebe. Zudem bemerkt Berset dann aber klar: Der Impfstatus darf keine Stigmatisierung zur Folge haben. Die Zulässigkeit von Zugangsbeschränkungen aufgrund des Impfstatus sei deshalb im Einzelfall zu prüfen, da auch Grundrechte betroffen sein können.

Interessant ist übrigens, dass die Frage der Stigmatisierung schon im Zusammenhang mit der Covid-19-Tracing-App aufgepoppt ist. Auch damals befürchtete man, Clubs und Restaurants könnten von ihren Gästen verlangen, dass sie die App heruntergeladen und aktiviert hätten. Schlussendlich ist jedoch kein solcher Fall ruchbar geworden. Beim Impfstatus scheint es jedoch wahrscheinlicher zu sein, dass es solche Fälle wirklich gibt, dürfte doch die Wirksamkeit einer Impfung allgemein anerkannter sein, als die Wirkung der SwissCovid App.

Abklärungen des Bundesamtes für Justiz

Immerhin erklärt Bundesrätin und Justizministerin Karin Keller-Sutter im genannten Beitrag von Radio SRF, dass sie die Frage der Zulässigkeit von Zugangsbeschränkungen ohne Impfnachweis dem Bundesamt für Justiz zur Abklärung vorgelegt hätte.

Da der Widerstand gegen Impfung als Bedingung bzw. angeordnete Impfungen im Rahmen des Weisungsrechts bereits absehbar ist, ist eine juristische Klärung dieser heiklen Fragen dringend notwendig.

Eidg. Datenschutzbeauftragter: Verstoss gegen DSG

In einem Interview im «Blick» vom 28. Dezember 2020 vertritt der Eidg. Datenschutzbeauftragte (EDÖB), Adrian Lobsiger, die Meinung, dass das EpG (s . vorne) die Corona-Impfung klar als freiwillig taxiere. Private Unternehmen sollen nicht eigenmächtig verlangen, dass alle Kunden ein Smartphone mit Gesundheitsdaten, wie zum Beispiel einen digitalen Impfausweis, vorweisen – etwa um in einen Betrieb zu gelangen. Anders wäre es, wenn der Gesetzgeber bestimme, dass niemand in ein Flugzeug oder in ein Restaurant ohne Impfausweis komme. Dann sei dies ein politischer Entscheid. So sei es aber aktuell nicht. Eine Impfausweispflicht bei einer Fluggesellschaft oder in einem Restaurant würde ohne gesetzliche Grundlage gegen das Datenschutzgesetz (DSG) verstossen. Die Bürger dürften nicht einer Beschaffung und Bearbeitung von Gesundheitsdaten durch andere Bürger ausgesetzt werden. Umso wichtiger sei es deshalb, dass der Staat regelt, welche Impf- oder Testdaten private Unternehmen wie bearbeiten sollen. Er habe empfohlen, die Regulierung einzuleiten.

Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin

Gemäss einem Artikel in der NZZ vom 18. Februar 2021 vertritt die Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin NEK den Standpunkt, dass sowohl die Aufhebung gewisser Einschränkungen für geimpfte Personen als auch das Verlangen einer Impfbescheinigung für einzelne Aktivitäten des täglichen Lebens zu rechtfertigen seien. Dafür müssten allerdings gewisse Bedingungen erfüllt sein: Die Impfung müsste nicht nur vor einer Erkrankung schützen, sondern auch die Übertragung verhindern. Ausserdem müssten alle Impfwilligen Zugang zur Impfung haben. Die Ethikkommission hält die Privilegierung zudem nur in gewissen Situationen für zulässig. So könnten immune Personen der Quarantänepflicht entgehen und müssten sich nicht an die geltenden Obergrenzen für Gruppengrössen halten. Auch für Fluggesellschaften sei es legitim, einen Impfnachweis zu verlangen, zumal es namentlich bei langen Flügen schwierig sei, ein «ausreichend sicheres Umfeld für alle Reisenden zu gewährleisten». Nicht verhältnismässig ist es laut der Kommission hingegen, Ungeimpften den Zugang zu Theatern oder Kinos, Konzerten oder Sportveranstaltungen zu verwehren. Denn bei solchen Veranstaltungen sei es möglich, durch geringere Einschränkungen eine sichere Situation für alle Besucher zu schaffen – etwa durch die Maskenpflicht und das Einhalten des Abstands. Somit könnten sich z.B. private Veranstalter nicht einfach auf die Vertragsfreiheit berufen (s. dazu vorne). Die Ethikkommission empfiehlt deshalb nachdrücklich, die offenen Fragen rund um den Impfnachweis explizit zu regeln.


Dieser Beitrag ist ein «Work in Progress». Sobald sich in den juristischen Fragen rund um Zugangsbeschränkungen ohne Impfung Neuerungen ergeben, werde ich sie hier wieder publizieren.


Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.schneiderfeldmann.legal, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch

Aktualisiert am 13. Mai 2021

Strafbefehl – Unbedingt Einsprache erheben!

Strafverfolgungsbehörden haben die Möglichkeit, Fälle mittels Strafbefehl ohne grosse Abklärungen im Eilverfahren abzuschliessen. Eine Studie von Strafrechtsprofessor Marc Thommen von der Uni Zürich, die vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert wird, hat nun gezeigt, dass Beschuldigte bei einem Strafbefehl unbedingt innert 10 Tagen nach dessen Erhalt Einsprache erheben sollten. Aktuell tun dies nur gerade 10 %. Bei 50 Dossiers haben die Forscher im Detail untersucht, wie sich eine Anfechtung des Strafbefehls auf Freiheitsstrafen auswirkt. Nur in einem einzigen Fall wurde eine solche im Gegensatz zum Strafbefehl verlängert. In 18 Fällen blieben die Sanktionen unverändert. Aber in 31 Fällen verkürzten die Richter die Freiheitsstrafen, zum Teil massiv. In einzelnen Fällen erfolgten sogar Freisprüche.

Die Resultate der Studie decken sich mit meinen eigenen Erfahrungen in meiner Anwaltspraxis. Gerade ist mir ein Strafbefehl einer Bekannten unter die Augen gekommen, die wegen einem behaupteten Biss ihres wirklich kleinen Hundes von der Staatanwaltschaft des Kantons Aargau zu einer drastischen Strafe verurteilt wurde. Es ist mir absolut unerklärlich, wie die Staatsanwaltschaft basierend auf der mir vorliegenden Rechtsprechung zu Hundebissen in diesem Fall überhaupt zu einer Verurteilung gekommen ist. Wir haben nun Einsprache erhoben. Fortsetzung folgt …

Quelle: SonntagsZeitung 16.03.2019, Roland Gamp, Um Massendelikte zu ahnden, greifen Strafverfolger zu fragwürdigen Methoden.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.gsplaw.ch www.hslu.ch
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