Domain-Registrar Swizzonic: Unlauterer Versand von Rechnungen für nicht bestellte Dienstleistungen?

Rechnung für «Priority Support»

Seit Jahren, ja mittlerweile Jahrzehnten bin ich Kunde des Schweizer Domain-Registrars Swizzonic AG, der formaligen switchplus ag, die 2009 von der Schweizer Stiftung SWITCH, die Bereiberin einer Internet-Infrastruktur für Schweizer Hochschulen, gegründet wurde. Am 7. März 2024 habe ich von Swizzonic eine Rechnung für einen «Priority Support» im Betrag von CHF 125.85 erhalten. Zuerst war mir überhaupt nicht klar, was für eine Dienstleistung mir Swizzonic in Rechnung stellt. Ich habe diese weder bestellt noch je in Anspruch genommen. Ich habe darum Swizzonic sogleich angerufen und wollte die Rechnung stornieren lassen. Bei der Swizzonic-Hotline kam ich in eine Warteschlaufe, in der ich zuerst an neunter Stelle war. Als ich wohl nach mehr als 10 Minuten endlich an zweiter Stelle der Anrufer war, teilte mir das System mit, dass die Hotline überlastet sei und dass ich ein andermal anrufen soll … Auch wenn ich mich darüber geärgert habe, war es mindestens der Beweis, dass ich bei Swizzonic keinen «Priorioty Support» erhalte 🙂 In der Folge habe ich Swizzonic per Online-Formular kontaktiert und geschrieben, es müsse sich bei der Rechnung entweder «um einen Fehler oder um möglichen unlauteren Wettbewerb» handeln. Dazu hat Swizzonic keine Stellung genommen, hat jedoch die Rechnung ohne weiteres storniert. Bei einem Kontakt mit einem Journalisten wurde ich darauf hingewiesen, dass ich möglicherweise einige Zeit vor der nämlichen Rechnung ein Info-Mail von Swizzonic betreffend den genannten «Priority Support» erhalten hätte. Effektiv hat mir Swizzonic am 29. Dezember (sic!) 2023 ein Mail gesandt u.a. mit folgender Info: […] wir haben gute Nachrichten für Sie! Da Sie zu unseren Premium-Kunden gehören [Ich wusste gar nicht, dass ich bei Swizzonic «Premium Kunde» bin 🙂 ], haben wir den neuen Service Priority Support in Ihrem Benutzerkonto für Sie freigeschaltet. Das bedeutet, dass Sie den neuen Service jetzt 4 Monate lang kostenlos nutzen können. Priority Support ist ein neues Add-on, das Ihnen deutlich kürzere Wartezeiten und einen stets vorrangigen Service bietet». Und dann ganz unten im Kleingedruckten [klassisch 🙂 ]: «Hinweis: Der kostenlose Testzeitraum beträgt 4 Monate. Bitte stellen Sie sicher, dass Sie den Priority Support Service vor dem 28. Februar 2024 manuell in Ihrem Benutzerkonto deaktivieren und/oder die standardmässige ‚automatische Verlängerungsfunktion‘ abschalten, wenn Sie den kostenpflichtigen Service nach der 4-monatigen Testphase nicht mehr in Anspruch nehmen möchten.» Dieses Mail, das grafisch als Werbung aufgemacht wurde [was es ja auch ist], wurde entweder von meinem Mail-Server direkt oder von mir ohne weitere Beachtung gelöscht. Man kann ja nicht erwarten, dass ich jede Werbung inklusive Kleingedrucktem [sic!] aufmerksam durchlese. Dass diese Aktion Swizzonic offenbar auch nicht mehr geheuer ist, belegt der Hinweis im Dashboard für Kunden: «Wenn Sie eine Rechnung für den Service Priority Support erhalten haben und nicht daran interessiert sind, den Service aktiv zu halten, fahren Sie bitte nicht mit der Zahlung fort und der Service wird automatisch deaktiviert» [sic! sic!]. Diesen «Hinweis» sieht man jedoch nicht, wenn man die per E-Mail versandte Rechnung bezahlt, ohne sich vorher in den Kundenbereich der Homepage von Swizzonic einzuloggen.

Tagi-Online 13.04.2024 Rechnung nach dem Probeabo: Wann ich zahlen muss und wann nicht
Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Dozent Hochschule Luzern HSLU, zu Abo-Fallen im Tagi-Online vom 13.04.2024

Unlauterer Wettbewerb?

Wie bereits im Online-Formular an Swizzonic geschrieben, handelt es sich bei der Rechnung von Swizzonic entweder um einen Fehler oder möglicherweise um unlauteren Wettbewerb. Nachdem Swizzonic die Rechnung zwar storniert, aber nicht als Fehler bezeichnet hat, bleibt die Frage, ob das Verhalten von Swizzonic unlauter im Sinne des Schweizer Lauterkeitsgesetzes (UWG) ist. Gemäss Generalklausel Art. 2 UWG ist «unlauter und widerrechtlich jedes täuschende oder in anderer Weise gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossende Verhalten oder Geschäftsgebaren, welches das Verhältnis zwischen Mitbewerbern oder zwischen Anbietern und Abnehmern beeinflusst». Gemäss genanntem Werbemail vom 29. Dezember 2023 hat Swizzonic scheinbar von sich aus und ohne mein Einverständnis den nämlichen «Priority Support» aktiviert. Gemäss Kleingedrucktem hätte ich in der Folge den Service nunmehr aktiv deaktivieren müssen, falls ich dafür nach vier Monaten nicht bezahlen wollte. Abgesehen von der vertraglichen Problematik, die ich nachfolgend erläutere, ist ein solches Vorgehen m.E. klar unlauter im Sinne der Generalklausel. Es ist offensichtlich, dass Swizzonic darauf spekuliert, dass ein Grossteil ihrer Kunden, die an einem «Priority Support» überhaupt nicht interessiert sind, diesen erstens im genannten Werbemail gar nicht beachtet und zweitens schon gar nicht deaktiviert. Dies verstösst klar gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 2 Abs. 1 Zivilgesetzbuch, ZGB) und ist damit unlauter.

Besonders aggressive Verkaufsmethode?

Falls Swizzonic mit ihrem entsprechenden Verhalten nicht nur die Generalklausel des UWG erfüllen würde, sondern auch einen Tatbestand von Art. 3 UWG könnte dieses Verhalten gemäss Art. 23 UWG sogar strafbar sein. Dafür kommt jedoch m.E. nur der Tatbestand der «besonders aggressiven Verkaufsmethode» gemäss Art 3 Abs. 1 lit. h UWG in Frage. Art. 3 Abs. 1 lit. h setzt voraus, dass der Kunde durch die besonders aggressiven Verkaufsmethoden in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt wird. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung geschieht dies durch Methoden, welche eine «psychologische Zwangslage» schaffen. Der Kunde schliesst den Vertrag darauf «nicht in erster Linie aus Interesse am Vertragsgegenstand ab, sondern v.a. deshalb, weil er sich durch die auf ihn angewandte Methode zum Vertragsabschluss gedrängt, genötigt fühlt» (DIKE-UWG-Kommentar 2018, Furrer/Aepli, RZ 25 zu Art. 3 lit. h UWG). Domainnamen sind für viele Unternehmen und Privatpersonen von existenzieller Bedeutung. Diese wollen alles vermeiden, ihre Domainnamen zu verlieren. Dazu gehört vor allem, die Gebühren des entsprechenden Domain-Registrars zu bezahlen. Sogar ich als Rechtsanwalt habe es als zu riskant erachtet, die Rechnung für den «Priority Support» von Swizzonic einfach zu ignorieren (wie von Swizzonic im Kundenbereich vorgeschlagen, s. vorne) und habe von Swizzonic die Stornierung und deren Bestätigung verlangt. So werden erst recht juristische Laien die Rechnung sicherheitshalber bezahlen. D.h. sie fühlen sich im Sinne der genannten bundesgerichtlichen Rechtsprechung aus den Umständen zur Zahlung gedrängt, auch wenn sie an der nämlichen Dienstleistung keinerlei Interesse haben.

Vertrag zustande gekommen?

Gemäss Art. 1 des Schweizer Obligationenrechts (OR) ist zum Abschluss eines Vertrages die übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung der Parteien erforderlich, auch wenn diese auch stillschweigend (Grundsatz von Treu und Glauben, Art. 2 Abs. 1 ZGB) erfolgend kann. Ohne Willenserklärung, kein Vertrag. Mindestens in meinem Fall ist denn auch unabhängig von der Frage des lauteren oder unlauteren Verhaltens von Swizzonic a priori kein Vertrag zustande gekommen. Ich habe zu keinem Zeitpunkt weder ausdrücklich noch stillschweigend (Art. 1 Abs. 2 OR) einen Willen kundgetan, einen Vertrag über die Dienstleistung eines «Priority Supports» abzuschliessen. Insbesondere habe ich offensichtlich diesen Dienst auch nicht in der Gratis-Testphase in Anspruch genommen. Hätte ich dies getan, wäre die juristische Ausgangslage evtl. anders, insbesondere, wenn man mich bei der Inanspruchnahme explizit auf die Konditionen hingewiesen hätte. Aber auch in diesem Fall müsste Swizzonic m.E. die nachfolgend beschriebene «Best Practice» befolgen.

Best Practice für Swizzonic für die Zukunft

Wie erwähnt, hat man aufgrund des genannten Hinweises im Kundenbereich der Homepage von Swizzonic den Eindruck, dass dieser ihr eigenes Verhalten in der vorliegenden Sache ebenfalls nicht mehr geheuer ist. Stellt sich darum die Frage, wie man eine entsprechende Dienstleistung an bestehende Kunden herantragen soll. Es spricht m.E. nichts dagegen, einen entsprechenden Dienst für bestehende Kunden ohne deren explizites Einverständnis aktiv zu schalten, sofern die Dienstleistung für einen bestimmten Zeitraum gratis ist und die Kunden darüber zu informieren. Minimal müsste man jedoch vor Ablauf dieser Frist den Kunden rechtzeitig eine Information senden, dass die Gratis-Testphase ausläuft und der Kunde den Dienst deaktivieren muss, falls er nicht vom künftig zahlungspflichtigen Angebot Gebrauch machen möchte. Mindestens in meinem Fall ist nicht einmal dies bei Swizzonic geschehen. Ich bin aber auch der Meinung, dass auch dieses Vorgehen immer noch unlauter im Sinne der genannten Generalklausel wäre. Best Practice wäre darum m.E. wenn Swizzonic den Service zwar ungefragt aktiv schaltet, ihre Kunden darüber informiert, die Kunden, die jedoch am Dienst über die Gratis-Testphase hinaus interessiert sind, nach einer weiteren Info, die Inanspruchnahme des nunmehr zahlungspflichtigen Dienstes explizit bestätigen müssen, andernfalls der Dienst von Swizzonic wieder automatisch deaktiviert wird.

Von Swizzonic getäuscht? Was kann man tun?

Rechnung nicht bezahlen, wenn kein Vertrag entstanden
Falls, wie vorne beschrieben, in der Sache überhaupt kein Vertrag über den «Priority Support» entstanden ist, sollte man die nämliche Rechnung auch nicht bezahlen. Es ist praktisch einfacher, die Nichtbezahlung zu verteidigen, als einen bezahlten Betrag wieder zurückzuerhalten.

Rückforderung mit Hinweis auf diesen Artikel
In meinem Fall habe ich ja nicht bezahlt und Swizzonic hat die Rechnung ohne weiteres auf Anfrage storniert. Ob Swizzonic aber auch bereits bezahlte Rechnungen rückerstattet, kann nicht zwingend daraus geschlossen werden. Nichtsdestrotz würde ich auch in diesem Fall Swizzonic vorab mittels Online-Formular kontkatieren, die Rückerstattung verlangen und evtl. auf diesen Artikel auf juristenfutter.ch hinweisen.

Beschwerde an Lauterkeitskommission
Sollte Swizzonic den Betrag trotzdem nicht rückerstatten, könnte in einem nächsten Schritt eine Beschwerde an die Schweizerische Lauterkeitskommission ratsam sein. Die Schweizerische Lauterkeitskommission, eine eine neutrale, unabhängige, private Institution der Kommunikationsbranche zum Zweck der werblichen Selbstkontrolle. Sie bezeichnete im Fall Nr. 344/08 die Zustellung einer Rechnung für eine nicht bezogene Internetdienstleistung ausdrücklich als unlauter i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. h UWG (DIKE-UWG-Kommentar 2018, Furrer/Aepli, RZ 107 zu Art. 3 lit. h UWG). Bei einer Rechnung, wie im vorliegenden Fall, verlangt die Lauterkeitskommission auf der Rechnung selbst «eine unmissverständliche Hervorhebung, dass es sich um eine Offerte handelt» (https://www.faire-werbung.ch/de/offerte-als-rechnung-getarnt). Eine grundsätzlich kostenlose Bechwerde an die Lauterkeitskommission (https://www.faire-werbung.ch/de/beschwerde) könnte darum m.E. von Erfolg gekrönt werden, ohne entsprechendes Prozessrisiko. Eine erfolgreiche Beschwerde bei der Lautekeitskommission führt zwar nicht per se zur Rückzahlung der versehentlich oder unter Druck bezahlten Rechnung. Da Unternehmen und Organisationen jedoch auch die private Lauterkeitskommission «wie der Teufel das Weihwasser fürchten», da ein Entscheid zu einer sehr unbeliebten negativen Publicity führen kann, kann mit grosser Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass eine Beschwerdegegnerin in der Sache schnell in eine gütliche Lösung einlenkt.

Zivilklage unverhältnismässig
Bei einem sehr kleinen Betrag, wie in der vorliegenden Sache, ist die Anstrengung einer Zivilklage unverhältnismässig. Ohne Rechtsanwalt bzw. Rechtsanwältin wäre eine solche wohl kaum machbar und die entsprechenden Kosten würden den Streitwert um ein vielfaches übrsteigen. Solch kleine Beträge sind in der Regel auch bei Rechtsschutzversicherungen nicht gedeckt bzw. fallen unter den Selbstbehalt.

Strafklage nur als ultima ratio
Wie erwähnt, wäre in der Sache evtl. auch eine Strafklage möglich. Erfahrungsgemäss ist das Kostenrisiko bei Strafklagen auch bedeutend geringer. Die Möglichkeit einer Strafklage würde ich jedoch vorliegend nur als letztes Mittel wählen und ebenfalls nur mit Unterstützung eines Rechtsanwalts, einer Rechtsanwältin.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.hslu.ch, www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch, www.intla.ch, www.twitter.com/juristenfutter

Aktualisiert am 16. April 2024

Smart Contracts – Die digitalen Kaugummi-Automaten

Smart Contract – ein schillerndes Schlagwort, das in aller Munde ist. Aber was ist das eigentlich? Was macht den Smart Contract so smart? Und wo wird er in der Praxis eingesetzt? Diese und weitere Fragen beantwortet Ueli Grüter, Rechtsanwalt und Dozent im neuen CAS Vertragsmanagement der Hochschule Luzern, und gibt damit einen spannenden Einblick in eine wichtige Zukunftsthematik des Contract Managements.

Der Begriff «Contract» (dt. Vertrag) ist im Zusammenhang von sogenannten «Smart Contracts» insofern irreführend, als es sich beim Smart Contract nicht um einen Vertrag gemäss Art. 1 des Obligationenrechts (OR) handelt, sondern um einen Software-Code, der dazu entwickelt wird, vordefinierte Bedingungen, Funktionen oder Aktionen auszuführen («wenn –> dann») und zu protokollieren. Bei Eintritt einer zuvor festgelegten, digital prüfbaren Bedingung («true/false»), eines zuvor festgelegten Ereignisses (sog. «trigger») wird automatisch eine ebenfalls zuvor festgelegte Reaktion (Parameter) ausgeführt.

Kein Vertrag, sondern Software

Der Vertrag im Sinne von Art. 1 OR kommt bei einem Smart Contract in der Regel vor dem Einsatz dieses Software-Codes zustande und die Abwicklung des Vertrags durch einen Smart Contract als technisches Hilfsmittel ist integrierender Vertragsbestandteil. Die Parteien müssen sich in der Folge das Agieren des Smart Contracts bzw. des entsprechenden Software-Codes anrechnen lassen. Man denke hier zum Beispiel an die Sharing-Economy: Ich möchte bei einem Anbieter, wie Mobility, ein Auto mieten. Die entsprechenden Bedingungen zum Angebot von Mobility entnehme ich Informationen, die ausserhalb des Smart Contracts publiziert worden sind. Sobald ich jedoch das Angebot annehme, z.B. durch das Drücken eines Buttons auf der App von Mobility, startet der Smart Contract, wie ein Domino, ohne dass irgendjemand noch eingreifen müsste. Die Software prüft, ob auf meinem Krypto-Wallet (digitales Portemonnaie mit Krypto-Geld wie z.B. Bitcoin) ein vorab definierter Mindestbetrag vorhanden ist. Wenn diese Bedingung gegeben ist, gibt die Software den elektronischen Autoschlüssel frei. Am Ende der Fahrt sperrt die Software den elektronischen Autoschlüssel und holt in meinem Krypto-Wallet die Gebühr für die Autofahrt.

Keine Erfindung des digitalen Zeitalters

Smart Contracts sind keine Erfindungen des digitalen Zeitalters. Die Idee der Smart Contracts gibt es schon ewig lange. Ein gutes Beispiel dafür ist der Kaugummi-Automat. Derjenige, der den Automaten aufstellt, macht ein Angebot. Sobald jemand beim Automaten den geforderten Betrag einwirft und damit das Angebot annimmt, startet das selbst ausführende System, eben der Smart Contract. Ist der eingeworfene Betrag genügend hoch, spuckt der Automat einen Kaugummi aus – auch hier, ohne dass irgendjemand noch ins System eingreifen würde.

Blockchain als Plattform

Wie das Beispiel des Kaugummi-Automaten zeigt, kann ein Smart Contract auf irgendeiner Plattform betrieben werden. Die hier beschriebenen Smart Contracts werden jedoch auf einer Blockchain aufgesetzt. Dabei handelt es sich um eine Internet-Plattform, deren Charakteristikum insbesondere ist, dass sie durch ihre Dezentralisierung und Transparenz praktisch immun gegen Eingriffe ist und somit auch nicht verändert werden kann. Dies ist bei einem Smart Contract besonders wichtig. Denn das Vertrauen der Partei, die in einen Smart Contract einwilligt,  ist nur gegeben, wenn sie davon ausgehen kann, dass die Regeln während des «Spiels» nicht geändert werden.

Damit Codes als Smart Contract auf der Blockchain-Infrastruktur aufsetzen können, müssen sie in die Programmiersprache der Blockchain (bei Ethereum «Solidity») umgewandelt werden. Nach erfolgreicher Umwandlung (sog. Compile) kann der Smart Contract erstellt werden (sog. Deploy). Durch den Deploy wird der Smart Contract selbst Akteur des Netzwerks, d.h. er wird ein neuer Teilnehmer im Netzwerk der Blockchain, der rein nach den Regeln seines Codes agiert (vgl. weiterführend und vertiefend zur Thematik Wilkens/Falk, Smart Contracts, Springer 2019, S. 10).

Vorzüge von Smart Contracts – effizient, anonym, intermediärlos

Smart Contracts können nur Leistungen erbringen, die sich digital in der Blockchain abbilden lassen. In erster Linie sind das Transaktionen und Registereinträge. Smart Contracts scheinen sich damit besonders für einfache Rechtsdurchsetzungen, wie Einzug von Zahlung mit korrespondierender Freigabe bzw. Sperre der Sache, zu eignen (Wilkens/Falk, S. 14, mit weiteren Verweisen).

Die Verwendung von Smart Contracts erfolgt grundsätzlich anonym. Es werden auf der Blockchain lediglich die anonymen Transaktionsdaten gespeichert. Falls in einem Geschäft die Identifizierung der Parteien gewünscht ist, müssen diese ihre Identität zusätzlich zum automatisch ablaufenden Smart Contract im System erfassen. Smart Contracts bieten sich deswegen eher dort an, wo entweder ein geringes Schlechtleistungsrisiko besteht und es deswegen nicht auf die Identität der Parteien ankommt, oder dort, wo sich die Vertragsparteien schon kennen (Wilkens/Falk, S. 15, mit weiteren Verweisen).

Die Blockchain-Technologie erlaubt es auch, dass bisher notwendige Intermediäre ausgeschlossen werden können. So kann das vorne erwähnt Beispiel mit dem Carsharing auch ohne einen Provider, wie Mobility, betrieben werden. Halter verleihen ihre Autos direkt untereinander. Aber auch Uber und Airbnb und Finanzintermediäre, wie Banken und Kreditkartenfirmen, können obsolet werden; was diese natürlich fürchten (!).

Keine Kontrolle, keine juristischen Auseinandersetzungen

Ein Smart Contract ist aus juristischer Sicht «smart» (engl. für «klug», «schlau»), weil er selbstausführend ist. Wie erwähnt heisst dies, dass ein Smart Contract von alleine abläuft, ohne dass während des Prozesses jemand eingreifen müsste. Im Gegenteil, bei einem Smart Contract darf während des Prozesses nicht mehr eingegriffen werden. «Smart» bedeutet aber auch, dass es bei einem Smart Contract keine Meinungsverschiedenheiten und damit keine Auseinandersetzungen der Parteien geben sollte. Denn der Smart Contract macht genau das, was vorab definiert und programmiert worden ist. Es besteht kein Raum für Diskussionen. Technisch bestimmte Transaktionen werden ex ante festgelegt, im Gegensatz zu den ex post durchsetzbaren Regeln. Die Vertragserfüllung ist nicht (mehr) vom individuellen Verhalten der Parteien abhängig. Der Vollzug des Smart Contracts muss selbstredend auch nicht überprüft werden – ein weiterer grosser Vorteil.

An Grenzen stösst die Technologie des Smart Contracts, wenn im Rahmen eines Rechtsverhältnisses die Folgen einer Aktivität des Vertragspartners nach Ermessen beurteilt werden muss (z.B. die Einschätzung, ob ein Verhalten des Vertragspartners dem Grundsatz von Treu und Glauben widerspricht); sprich, wenn es sich eben gerade nicht um eine genau definierte Bedingung handelt. Eine solche Beurteilung vermag aktuell nur ein Mensch vorzunehmen. Sollte eine solche Ermessensausübung aber inskünftig auch durch künstliche Intelligenz (KI) möglich sein, kann dies allenfalls auch ein Smart Contract mit entsprechenden Fähigkeiten wiederum selbst erledigen.

Durch die Einführung von Smart Contracts in den Rechtsalltag wird der Aufwand im Zusammenhang mit Verträgen von der Phase der Vertragsdurchsetzung – die ja nun automatisiert vorgenommen wird – hin zu der Phase der Vertragserstellung verschoben. Dies bedeutet, dass der Aufwand für die Erstellung eines Smart Contracts sehr gross ist, denn es müssen alle Eventualitäten vorab überlegt und einprogrammiert werden. Dafür sollte nach der Ausführung des Smart Contracts kein Aufwand mehr für juristische Auseinandersetzungen entstehen. Falls die Ausführung funktioniert, ist dies auch aus juristischer Sicht geradezu genial, wirklich smart!

«Orakel» als Verbindung zur Aussenwelt

Bei langfristigen Beziehungen, bei denen ein Smart Contract zu Anwendung kommt, stellt sich die Frage, wie man Veränderungen im Kontext (z.B. steigende Rohstoffpreise) berücksichtigen kann, obwohl in einen Smart Contract grundsätzlich nicht mehr eingegriffen werden kann. Die Lösung für dieses Problem sind Blockchain-Orakel. Ein solches Orakel ist ein Interface (Software, oder Hardware [z.B. Sensor]), das den in sich geschlossenen Smart Contract mit der Aussenwelt verbindet und mit entsprechenden Informationen versorgt. So können z.B. Preise in Smart Contracts gemäss externen Indizes angepasst werden. Ein Orakel gelangt aber auch im Falle zum Einsatz, wo eine Transaktion (erst) dann ausgeführt werden soll, wenn eine physische Ware übergeben wurde. Orakel können Informationen sowohl von der Aussenwelt in den Smart Contract liefern (eingehendes Orakel), wie auch umgekehrt (ausgehendes Orakel). Zudem können die Informationen von einem Orakel kommen (zentrales Orakel), oder von mehreren (dezentrale Orakel). Der Einsatz von letzteren dient der Erhöhung der Zuverlässigkeit von Informationen.

Anzumerken zum Einsatz von Orakeln in Blockchains bzw. Smart Contracts ist, dass diese an und für sich dem Prinzip widersprechen, dass in Abläufe auf der Blockchain nicht eingegriffen werden kann. Basierend auf diesem Prinzip geniessen Transaktionen auf der Blockchain und damit auch in Smart Contracts bei den Parteien grosses Vertrauen, insbesondere auch unter anonymen Partnern.

Aktuelle und potenzielle Einsatzgebiete

Obwohl das Potenzial von Smart Contracts unbestritten ist, sind die aktuellen Einsatzgebiete in der Praxis (noch) beschränkt. Ein paar Beispiele für aktuelle und vor allem für potenzielle Einsatzgebiete veranschaulichen die spannenden Chancen, die sich hier bieten (Weitere Beispiele finden sich im Kapitel zu Smart Contracts auf digilaw.ch.):

  • Softwarelizenz
    Ein Smart Contract bezieht die Gebühr für eine Softwarelizenz vom Krypto-Wallet des Lizenznehmers und gibt in der Folge die Software für eine bestimmte Zeit zum Gebrauch frei. Auf dieselbe Weise erfolgt später auch eine Verlängerung der Lizenz. In diesem Fall muss jedoch gewährleistet sein, dass der Lizenznehmer diesen Vorgang zu einem zum Voraus bestimmten Zeitpunkt unterbrechen (also den Vertrag kündigen) kann.

  • Interaktion des Internets der Dinge (Internet of Things, IoT)
    Mit dem Internet verbundene Dinge, wie z.B. Autos und Haushaltsgeräte, organisieren sich mittels Smart Contracts selbst, tauschen sich aus und führen Transaktionen aus. So ordert die Waschmaschine eigenständig einen Monteur, wenn sie einen Defekt feststellt, bestellt entsprechend dem Verbrauch Waschmittel und bezahlt dafür – dies alles, ohne dass ein Mensch eingreift.

  • Dezentrale Energieversorgung
    Inskünftig werden immer mehr Private lokal Strom produzieren. Durch den Einsatz von Smart Contracts können sich diese in einem echtzeitbasierten dezentralen Energiemarkt (sog. Microgrid) direkt – also ohne Einbindung zentraler Stromanbieter als Intermediäre – mit den Stromkonsumenten verbinden. Es kann ein automatischer Austausch von Informationen über die verfügbare (überschüssige) Energiemenge der Anbieter und den Energiebedarf der Nutzer erfolgen, was wiederum die Automatisierung von Preisverhandlungen und Transaktionen ermöglicht (Wilkens/Falk, Smart Contracts*, Springer 2019, S. 20 f., mit weiteren Verweisen).

  • Nutzung von Musik und deren Vergütung
    Die Nutzung von Musik und deren Vergütung an die Autorinnen und Komponisten erfolgt bisher über ein internationales Netz von Verwertungsgesellschaften. Es ist vorstellbar, dass dieser Vorgang inskünftig automatisiert über Smart Contracts abläuft.

  • Supply-Chain-Management
    Einen wichtigen Beitrag können Smart Contracts ergänzend zur Blockchain-Technologie zur Automatisierung des weltweiten Lieferketten-Managements (Supply-Chain-Management) leisten. Bei diesem müssen Intermediäre, wie z.B. die in der Schweiz domizilierte SGS Group, fortlaufend Waren prüfen, Sicherheitsgarantien abgeben, Zahlungen freigeben, oder eben nicht, wenn die dafür definierten Voraussetzungen nicht gegeben sind. Weil die entsprechenden Prozesse und Parameter definiert sind, können diese Aufgaben auch Smart Contracts übernehmen; insb. auch mit dem Einbezug der vorne beschriebenen Orakel.

  • Flugausfallversicherung
    Der Smart Contract ermittelt auf Basis der öffentlichen Lande- und Abflugdaten von Flugzeugen automatisch Verspätungen und Flugausfälle und zahlt Vergütungen für versicherte Ereignisse vom Smart Contract direkt aus.

  • Auto-Haftpflichtversicherung mit Pay-as-you-drive-Prinzip
    Gekoppelt mit einer Auto-Haftpflichtversicherung ermittelt ein Smart Contract den Fahrstil eines Versicherten und passt basierend darauf die Versicherungsprämie an.

Code is Law-Prinzip vs. nationales zwingendes Recht

Nach dem im Kontext von Smart Contracts ab und an vereinbarten «Code is Law-Prinzips» soll ausschliesslich die Programmierung der Software das rechtliche Verhältnis zwischen ihren Nutzern bestimmen und gesetzliche Anforderungen sollen entsprechend nicht gelten. Die Anwendung dieses Prinzips kann insbesondere dazu führen, dass auch ein Programmierfehler als korrekt gilt und damit deswegen kein Schadenersatz verlangt werden kann.

Gemäss Art. 19 Abs. 1 OR gilt nach schweizerischem Recht grundsätzlich die Vertragsfreiheit. Nach Art. 19 Abs. 2 OR sind aber von den gesetzlichen Vorschriften abweichende Vereinbarungen nur zulässig, wo das Gesetz nicht eine unabänderliche Vorschrift auf­stellt oder die Abweichung nicht einen Verstoss gegen die öffent­liche Ordnung, gegen die guten Sitten oder gegen das Recht der Per­sönlichkeit in sich schliesst. Mindestens wenn ein Smart Contract mit einem Code is Law-Prinzip unter schweizerisches Recht fällt, wäre das Prinzip nicht anwendbar, wenn es gegen Art. 19 Abs. 2 OR verstösst. Dies wäre z.B. der Fall, wenn das schweizerische Recht in diesem Punkt widersprechendes zwingendes Recht vorsieht.

In diesem Sinne müssen Smart Contracts auch den zwingenden Formerfordernissen des nationalen Rechts entsprechen und die Parteien können durch einen Smart Contract den Vertragstyp nicht selbst bestimmen.

Mehr juristische Fragen als Antworten

Dass in einen Smart Contract nicht mehr eingegriffen werden kann, birgt aber auch zahlreiche juristische Risiken. Wer haftet für Programmierfehler? Was passiert, wenn bei einem Smart Contract keine Möglichkeit für eine Beendigung (Kündigung) vorgesehen ist?

Da sowohl Blockchain wie Smart Contracts nicht an Landesgrenzen gebunden sind, ja nur schon dezentral und damit auch international betrieben werden, Recht jedoch in der Regel immer noch national ist, besteht ein grosses Risiko, mit einem Smart Contract gegen irgendein nationales Recht zu verstossen. Hinzu kommt, dass eine Prüfung des Rechts sämtlicher Länder – mindestens im Moment – unmöglich ist (wird evtl. mit künstlicher Intelligenz einmal möglich).

Da es m.E. aus juristischer Sicht aktuell mehr Fragen zu Smart Contracts gibt als Antworten, muss der Einsatz von Smart Contracts wohlüberlegt sein.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch, www.intla.ch

Offerten befristen – Widerruf vorbehalten

Klarheit ist das «A» und «O» der Vertragsgestaltung. Dazu gehört auch, dass man ein Angebot, eine Offerte mit einer Frist versieht. Damit ist klar, bis wann die Gegenpartei die Offerte annehmen muss, was bei unbefristeten Angeboten regelmässig zu Diskussionen führt (Art. 4 ff. Obligationrecht, OR). Eine befristete Offerte kann jedoch grundsätzlich bis zum Ablauf der Frist nicht mehr widerrufen werden (Art. 3 OR). Dies könnte u.U. für den Anbieter ein Problem darstellen, wenn sich z.B. die Bedingungen ändern (z.B. eigene Einkaufspreise), insbesondere bei langen Fristen. Diesem Problem kann mit dem Vorbehalt des Widerrufs begegnet werden. Eine entsprechende Klausel könnte z.B. wie folgt lauten: «Diese Offerte gilt bis zum [Datum]. Ein Widerruf wird ausdrücklich vorbehalten.»

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.gsplaw.ch, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch