«Viagogo» – Spielverderber der Event-Industrie

Ebay, Instagram, die schweizerische tutti.ch sind Online-Plattformen, auf denen Private, teilweise aber auch Profis Waren verkaufen und kaufen. Die Plattformen sind äusserst beliebt und niemand regt sich darüber auf. Viagogo ist auch eine solche Plattform. Nur werden dort nicht Waren, sondern Tickets für Events, wie Konzerte, Fussballspiele und Zirkusaufführungen verkauft und gekauft. Viagogo selbst verkauft nichts, sondern stellt lediglich die entsprechende Handelsplattform zur Verfügung. Im Gegensatz zu den Waren-Handels-Plattformen scheint die Ticket-Handels-Plattform Viagogo ein grosses Ärgernis zu sein. Konsumentinnen und Konsumenten beschweren sich bei Medien und beim Bund.

Bund und Zirkus Knie klagen gegen Viagogo

Die Schweizerische Eidgenossenschaft bzw. wohl das damit beauftragte Staatssekretariat für Wirtschaft SECO reichte in der Folge im Jahre 2017 beim Handelsgericht des Kantons Zürich gegen Viagogo eine Klage wegen unlauteren Wettbewerbs ein. 2020 klagte dann auch noch der Zirkus Knie beim Handelsgericht des Kantons St. Gallen, ebenfalls wegen unlauteren Wettbewerbs und zusätzlich wegen Verletzung der Marken «Knie» bzw. «Circus Knie». In der Sache Schweizerische Eidgenossenschaft vs. Viagogo AG entschied das Schweizerische Bundesgericht letztinstanzlich mit Urteil vom 1. Dezember 2020 (4A_235/2020). In der Sache Gebrüder Knie, Schweizer National-Circus AG Rapperswil vs. Viagogo AG, entschied das Handelsgericht des Kantons St. Gallen am 24. Februar 2021 (HG.2018.181-HGK). Diesen Entscheid hat Viagogo an das Bundesgericht weitergezogen. Dort ist die Sache zum Zeitpunkt der Redaktion dieses Artikels noch hängig.

Tele1: Sind die Geschäftspraktiken von Viagogo legal?

Da sich auch der Zirkus Monti, der aktuell in Luzern gastiert, über die Geschäftspraktiken von Viagogo aufregt, wollte Tele1 von mir wissen, wie ich die Sache aus juristischer Sicht einschätze. Ich habe dafür die genannten Entscheide von Bundesgericht und Handelsgericht des Kantons St. Gallen studiert. Aus diesen Gerichtsentscheiden sind insbesondere folgende Punkte bemerkenswert.

Ueli Grüter, Rechtsanwalt, Dozent Hochschule Luzern, mit einer juristischen Einschätzung der Geschäftspraktiken der Online-Ticket-Handelsplattform Viagogo in den Nachrichten von Tele1 vom 21.09.2021

  • Viagogo darf im Zusammenhang mit der Ticket-Handels-Plattform alles publizieren, was zutreffend ist, auch wenn es den Event-Veranstaltern nicht in den Kram passt.
  • Die Konsumentinnen und Konsumenten können auf der Plattform von Viagogo klar erkennen, dass es sich um eine Wiederverkaufsplattform und nicht um die Plattform der Event-Veranstalter handelt.
  • Als Ticket-Handels-Plattform kann Viagogo nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn Tickets allenfalls ungültig, gefälscht oder personalisiert sind, und darum allenfalls kein Zugang gewährt ist. Ergänzen muss man hier aber aus der Rechtsprechung zur Verantwortlichkeit von Internet-Access-Provider, dass Viagogo verpflichtet ist, in den Handel einzugreifen, sollten Viagogo entsprechende Probleme bekannt werden.
  • Wenn Viagogo effektiv Tickets des Zirkus Knie verkauft, darf Viagogo in der Werbung auch die Bezeichnung bzw. Marke «Knie» verwendet; auch in Zusammenhang mit Anzeigen auf Google, auch als gekaufte Suchwörter. Darum ist auch nicht zu beanstanden, wenn das Angebot von Viagogo bei der Google-Suche vor dem Angebot des Event-Veranstalters erscheint.
  • Die Verwendung von Countdowns und andere Verkaufsmethoden, die Konsumentinnen und Konsumenten etwas unter Druck setzen, sind gemäss Bundesgericht grundsätzlich explizit zulässig. 
  • Nicht zulässig ist dagegen der generelle Hinweis, eine Vorstellung sei «ausverkauft», wenn es beim Event-Veranstalter selbst noch Tickets gibt.

Bundesgericht schlägt sich auf Seite von Viagogo

Abgesehen davon, dass die Rechtsschriften (Klage, Beschwerde) des Bundes bzw. des SECO offensichtlich überaus mangelhaft waren und darum vom Bundesgericht heftig kritisiert wurden, scheint das Bundesgericht mit der Ticket-Handels-Plattform und der entsprechenden Geschäftspraktiken keinerlei Mühe zu haben. Das Gericht hat denn auch die Beschwerde von Bund bzw. SECO vollumfänglich abgewiesen, soweit es überhaupt darauf eingetreten ist. Es ist damit m.E. davon auszugehen, dass Viagogo auch in der Sache «Knie» vor Bundesgericht wohl weitgehend Recht bekommen wird. Die Event-Industrie wird mit Viagogo und anderen Ticket-Handels-Plattformen leben müssen.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.schneiderfeldmann.legal, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch

Keine Kreditkarte über die eigene Bank!

Tipps vom Rechtsanwalt zur Verwendung von Kreditkarten

Ferienzeit ist Kreditkartenzeit. Es werden Fälle von Kreditkartenmissbrauch an mich als Rechtsanwalt herangetragen. Und die Leute wollen wissen, ob ich ihnen juristische Tipps bei der Verwendung von Kreditkarten hätte. Ja, die habe ich, auch wenn sie mehr taktischer, als juristischer Natur sind.

Tipp Nr. 1: Keine Kreditkarte über die eigene Bank!

Soeben haben die Schweizer Banken ihre Kundenkarten zu Karten transformiert, die wie Debit- oder Kreditkarten verwendete werden können, mit denen z.B. auch im Internet bzw. E-Commerce eingekauft werden kann. Insbesondere Kunden, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, haben nun eine Debit- oder Kreditkarte, die direkt über ihr Bankkonto abgerechnet wird. Auch wenn dies über Lastschrift erfolgt, wo der Kunde die Abbuchung auf dem Konto allenfalls widerrufen kann, besteht das faktische Problem, dass im Streitfall mit der Bank der Kunde das Geld «zurückklagen» muss. Hat man jedoch eine Kreditkarte von einem Anbieter, der von der eigenen Bank unabhängig ist, wie z.B. Cornèr, wird der streitige Betrag zwar der Kreditkarte belastet, jedoch nicht dem Bankkonto. In diesem Fall müsste dann der Kreditkarten-Anbieter gegen den Kunden klagen und nicht umgekehrt. Das ist mindesten ein taktischer Vorteil.

Tipp Nr. 2: Debitkarten statt Kreditkarten verwenden

Der Vorteil von Debitkarten, gegenüber Kreditkarten ist, dass nicht mehr bezogen werden kann, als einbezahlt wurde. Der Nachteil ist dabei jedoch, dass man die Debitkarte immer wieder «nachfüllen» muss. Die Kreditkarte mit Kreditlimit hat die gleiche Wirkung, ohne dass man immer wieder Beträge nachladen muss (s. dazu nachfolgend).

Tipp Nr. 3: Kreditlimit auf Kreditkarten reduzieren

In jedem Fall sollte bei Kreditkarten das Kreditlimit auf einen Betrag reduziert werden, der nicht höher ist, als der effektive Bedarf pro Tag oder Monat. Bei den meisten Anbietern kann z.B. vor Ferien das Kreditlimit temporär erhöht werden.

Tipp Nr. 4: Nur virtuelle Debit- oder Kreditkarten verwenden

Virtuelle Debit- oder Kreditkarte, wie die schweizerische Lösung «Twint»* oder «Apple Pay» oder «Google Pay» haben den enormen Vorteil, dass sie mindestens physisch nicht geklaut werden können. Seit Corona sind mir auch keine Bezahlterminals mehr begegnet, bei denen ich nicht kontaktlos hätte zahlen können. Um allenfalls in den Ferien doch noch Bargeld mit der Kreditkarte zu beziehen, kann man diese ja mitnehmen, jedoch im Safe im Hotelzimmer zurücklassen.

*Extra-Tipp: Bei der Twint-App von UBS kann man irgend eine Kreditkarte hinterlegen, also auch eine solche, die nicht von UBS kommt, was bei den Apps der anderen Banken nicht geht, und man muss auch nicht, wie bei der App von Twint selber, vorab einen Betrag einzahlen. Vielen Dank, UBS :-)!.

Tipp Nr. 5: Virtuelle Einwegkarte bei unsicheren Anbietern verwenden!

Eine ganz clevere Lösung für die Bezahlung bei unsicheren Anbietern bietet u.a. das britische Fintech-Unternehmen «Revolut» an: die Einwegkarte. Dabei handelt es sich um eine Debitkarte, die wie eine Kreditkarte u.a. im E-Commerce, aber u.a. auch über «Twint», «Apple Pay» und «Google Pay» verwendet werden kann. Nach jedem Gebrauch wird die Kreditkarte jedoch gelöscht und für den nächsten Einkauf kann man auf der Revolut-App ganz einfach eine neue Einwegkarte holen. Sicherer geht’s fast nicht mehr.

Tipp Nr. 6: Kartensperre und neu Karte ganz easy bei virtueller Revolut-Karte

Viele kennen es. Sperrt das Kreditkartenunternehmen die Kreditkarte selbst, weil es irgendwelche ungewöhnliche, möglicherweise kriminelle Transaktionen feststellt, oder verliert man die Kreditkarte und muss sie selber sperren lassen, dauert es in der Regel Tage, bis man die neue Kreditkarte erhält. Beim britischen Fintech-Unternehmen «Revolut» geht das jedoch bei der virtuellen Debit- bzw. Kreditkarte in der App hingegen zack, zack! Entweder sperrt Revolut die Kreditkarte selbst und man kann sie entweder über die App sofort wieder entsperren oder man erhält über die App sogleich eine neue.

Zu Revolut aber auch noch eine Warnung. Meine Erfahrung zeigt, dass die Kommunikation mit Revolut umständlich ist, teilweise sogar über virtuelle Assistenten, sogenannte Bots läuft. Dagegen ist es in der Regel einfach, mit den Hotlines von Kreditkartenfirmen zu telefonieren und z.B. falsche oder missbräuchliche Transaktionen zu regeln. Ich würde darum keinen zu grossen Betrag auf das Konto der Revolut-Debitkarte einzahlen.

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Befreiungsschlag für deutsche Anwälte

Freie interdisziplinäre Kooperation in Gesellschaften und Eintritt in den Markt des digitalen Massengeschäfts (Legal Tech)

Während die schweizerischen Behörden und Gerichte einem völlig veralteten Berufsbild der Rechtsanwälte/innen nachhängen, hat der Deutsche Bundestag die Zeichen der Zeit erkannt. Mit der Reform der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) können nun zu den Gerichten zugelassene Rechtsanwälte/innen sich völlig frei mit Berufsleuten aus anderen Disziplinen (u.a. Patentanwälte, aber auch Ingenieure, Unternehmensberater) in allen möglichen Gesellschaftsformen Deutschlands und der EU zusammenschliessen. In der Schweiz ist dies nicht einmal zwischen Rechtsanwälten/innen und Patentanwälten/innen zulässig (sic!).

Zudem können deutsche Rechtsanwälte/innen nun dank des neuen deutschen «Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt» (kurz auch «Legal-Tech-Gesetz») bei kleineren Rechtsstreitigkeiten, die allerdings eine grosse Gruppe von Konsumenten/innen betreffen, wie z.B. die Einforderung von Entschädigungen bei Flugverspätungen, Erfolgshonorare vereinbaren. Damit können sie ebenfalls in diesen aktuell vor allem durch Inkassounternehmen dominierten Markt eintreten; in der Schweiz ebenfalls undenkbar.

Quellen:
FAZ.NET 11.06.2021 Befreiungsschlag für Anwälte
Anwaltsblatt 11.06.2021 Große BRAO-Reform

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Corona-Impftermin während der Arbeitszeit

Nachdem die Corona-Impfkampagne nun Fahrt aufnimmt und nicht mehr nur Pensionierte geimpft werden, sondern auch Leute im Arbeitsleben, taucht die Frage auf, ob man einen Impftermin während der Arbeitszeit wahrnehmen darf. Dies will auch die Redaktion des Zentralschweizer Fernsehens Tele1 von mir wissen.

Anspruch auf Freizeit für Corona-Impftermin

Insbesondere basierend auf diese Bestimmungen gehe ich davon aus, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch darauf hat, dass er einen Corona-Impftermin auch während der Arbeitszeit wahrnehmen darf. Obwohl Termine nach Art. 329 Abs. 3 OR grundsätzlich mit der Arbeitgeberin abzusprechen sind, ist dies bei einem Corona-Impftermin, mindestens aktuell, nicht möglich, da die Termine von den Kantonen ohne Absprache zugewiesen werden und eine Verschiebung zu einer grösseren, gesundheitsgefährdenden Verzögerung führen kann. Selbstverständlich ist der Arbeitgeber über die geplante Absenz vorab und rechtzeitig zu informieren.

Keine Lohnkürzung wegen Corona-Impftermin

Es ist zudem davon auszugehen, dass die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer nach Art. 324a OR den Lohn wegen des Corona-Impftermins nicht kürzen darf.

Ich selber mache übrigens von diesen gesetzlichen Grundlagen ebenfalls Gebrauch und werde als Dozent eine Weiterbildung an der Hochschule Luzern wegen eines Corona-Impftermins etwas früher beenden (analoge Anwendung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen des OR im öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis).

Zur Thematik s. auch Merkblatt des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO: https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Arbeit/Personenfreizugigkeit_Arbeitsbeziehungen/Arbeitsrecht/FAQ_zum_privaten_Arbeitsrecht/freizeit-und-feiertage.html

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Aktualisiert am 15. Mai 2021

Sind Uber-Fahrer Scheinselbständige?

Internationale juristische Qualifizierung von «Clickworkern»

Der Fahrdienst Uber behauptet selbst, dass seine Fahrer selbständig, also nicht angestellte Mitarbeitende von Uber seien. Zwischenzeitlich haben mehrere Gerichte, Behörden und Parlamente weltweit, insbesondere in der Schweiz, der EU, Frankreich, Italien und UK diese Ansicht von Uber umgestossen und Uber-Mitarbeiter als Angestellte definiert. In den USA, dem Sitz von Uber, bleibt die Sache umstritten. Inwiefern ist die Frage der Selbständigkeit in der Unternehmenspraxis relevant und was bedeutet die Frage für Geschäftsmodelle mit «Clickworkern», wie dasjenige von Uber?

Praktische Relevanz der Frage der Selbständigkeit

Die Frage der Selbständigkeit spielt vor allem im Bereich der Sozialversicherungen eine wichtige Rolle. Nicht angestellte Mitarbeitende, also Freelancer, sind selbst für ihre Sozialversicherung zuständig und bezahlen auch die entsprechenden Beiträge selbst. Für Angestellte ist der Arbeitgeber für die Sozialversicherungen zuständig und er bezahlt die entsprechenden Beiträge, bei teilweisem Abzug vom Lohn. Wenn nun ein Unternehmen davon ausgeht, dass seine Mitarbeitenden selbständig (Freelancer) sind, dies jedoch unter juristischen Gesichtspunkten nicht zutrifft, kann dies drastische finanzielle Folgen haben. In diesem Fall können die Sozialversicherungen auch rückwirkend von den Unternehmen Sozialversicherungsbeiträge verlangen; in der Schweiz bis zu fünf Jahre zurück (!).

Wann ist ein/e Mitarbeiter/in selbständig, wann angestellt?

Nach schweizerischem Recht und schweizerischer Rechtsprechung ist ein Mitarbeiter, eine Mitarbeiterin angestellt, wenn er bzw. sie in eine Arbeitsstruktur eines Unternehmens eingebunden ist. Dies bedeutet, dass der Mitarbeiter, die Mitarbeiterin bei der Ausübung seines bzw. ihres Jobs nicht frei ist, sondern den Weisungen des Arbeitgebers, der Arbeitgeberin folgen muss (Weisungsrecht des/der Arbeitgebers/in). In einem neueren Entscheid (s. BGE 9C_308/2017 vom 17.05.2018 in NZZ 06.06.2018 Sieg für Ausgleichskasse) kommt das Bundesgericht zudem zum Schluss, dass auch das unternehmerische Risiko auf eine selbständige Tätigkeit hinweist. Dabei kann in der Regel nicht auf ein Element alleine (z.B. feste Arbeitszeiten, regelmässigen Lohn), abgestellt werden. Es muss das Arbeitsverhältnis im Gesamten betrachtet werden.

Bei Uber kann diesbezüglich festgestellt werden, dass die Uber-Fahrer/innen wohl bei der Wahl von Arbeitszeit und Arbeitsinstrument (Auto) frei sind. Wenn sie sich jedoch einmal in das System von Uber einloggen (einclicken –> «Clickworker»), müssen sie dessen Regel folgen. D.h. sie können dann nicht irgend einen Fahrgast herumchauffieren, sondern nur einen, der ebenfalls bei Uber eingeloggt ist, sie können für die Fahrt nicht irgend einen Tarif verlangen, sondern nur den von Uber dem Fahrgast bereits kommunizierten. Zudem habe ich vor einiger Zeit bei einem äusserst freundlichen Uber-Fahrer in Brüssel festgestellt, dass das System von Uber kein Trinkgeld vorsieht. Dagegenhalten könnte man, dass die Uber-Fahrer/innen mit dem Einloggen bei Uber einfach eine Dienstleistung von Uber in Anspruch nehmen, bei der ansonsten selbständigen Tätigkeit. In der Schweiz werden dies die Gerichte noch zu beurteilen haben. Ich gehe aber davon aus, dass die unselbständigen Elementen beim Uber überwiegen.

Ein sehr seltener und spannender Bericht eines Uber-Insiders wurde in der Online-Ausgabe des Schweizer Mediums «Blick» publiziert: Uber-Fahrer: «Ich bin nicht so frei, wie Uber behauptet!».


Aktuelle und aktualisierte internationale Rechtslage

Schweiz

Spätestens seit 2016 lehnt die für das Transportgewerbe zuständige Unfallversicherung Suva die Gesuche von Uber-Fahrern um Anerkennung als Selbstständige ab und ist damit e contrario der Meinung, Uber-Fahrer seien Angestellte, in der Schweiz von Uber Switzerland GmbH mit Sitz in Zürich.

Die Sozialversicherungsanstalt (SVA) Zürich verlangte von Uber für das Jahr 2014 Sozialversicherungsbeiträge von über CHF 5 Mio. Uber focht die entsprechende Verfügung beim Zürcher Sozialversicherungsgericht an. Ende Dezember 2021 hat dieses in einem Urteil festgestellt, zwar sprächen einzelne Punkte für eine selbständige Erwerbstätigkeit, doch insgesamt handle es sich bei Uber-Fahrern eindeutig um unselbständig Erwerbstätige. Das Gericht begründet seinen Entscheid mit dem Vorliegen eines «ausgeprägten Subordinationsverhältnisses». Die Fahrer sind massgeblich von Uber abhängig und können nur wenige Entscheidungen selber treffen. Zudem handelten die Fahrer aus Sicht des Publikums weder in eigenem Namen noch auf eigene Rechnung. Das Urteil gilt für «typische» Uber-Fahrer, von denen es in der Schweiz rund 3200 gibt. Als solcher gilt, wer keine angestellten Fahrer beschäftigt und seine Fahrten nicht über eine eigene Firma abwickelt. Uber will gegen den Entscheid beim Bundesgericht appellieren (NZZ 05.01.2022 Brisantes Urteil für Uber: Fahrer in der Schweiz sind nicht selbständig).

Im bislang wohl ersten arbeitsgerichtlichen Fall von «Clickworkern» hat das Arbeitsgericht Lausanne das Verhältnis zwischen einem Uber-Fahrer und Uber als Arbeitsvertrag qualifiziert (s. dazu Appellations-Entscheid des Tribunal Cantonal Canton de Vaud P317.026539-190917 380). Im nämlichen Entscheid geht es darum, dass Uber einem Fahrer die Uber-App einseitig abgeschaltet hat. Dies hat das Arbeitsgericht Lausanne als ungerechtfertigte arbeitsrechtliche fristlose Kündigung qualifiziert und dem betroffenen Fahrer gestützt auf Art. 337c Abs. 2 Obligationenrecht (OR) eine Entschädigung zugesprochen. Zudem muss Uber dem Fahrer auf dem ausbezahlten Honorar auch eine nach Arbeitsrecht geschuldete Ferienentschädigung ausrichten.

In einem Entscheid vom 30. Mai 2022 i.S. Service de police du commerce et de lutte contre le travail au noir (Amt für Gewerbepolizei und Bekämpfung der Schwarzarbeit) des Kantons Genf gegen Uber Switzerland GmbH und Uber B.V. (2C_34/2021) beurteilt das Schweizerische Bundesgericht in einem verwaltungsrechlichen Verfahren den Streit um die Einstufung von Uber als Transportunternehmen gemäss dem Gesetz über Taxis und Transportfahrzeuge mit Fahrer (LTVTC) des Kantons Genf und die damit verbundenen rechtlichen Verpflichtungen, insbesondere in Bezug auf Sozialschutz und Arbeitsbedingungen für Fahrer. Das Schweizerische Bundesgericht kommt in seinem Urteil zum Schluss, dass die Fahrer bei Uber als Angestellte zu betrachten sind, basierend auf einer Gesamtbetrachtung verschiedener Faktoren, die auf ein Arbeitsverhältnis im Sinne des Art. 319 ff. Obligationenrecht (OR) hinweisen:

  • Arbeitsleistung gegen Entgelt: Die Fahrer erbringen eine Arbeitsleistung, indem sie Fahrdienstleistungen über die Uber-Plattform anbieten, für die sie von Uber nach Abzug einer Provision bezahlt werden. Der Preis für die Fahrt wird von Uber festgelegt, und die Fahrer haben darauf keinen Einfluss, was eine Vergütung für ihre Arbeit darstellt.
  • Unterordnungsverhältnis: Das Gericht stellte fest, dass die Fahrer in einem Unterordnungsverhältnis zu Uber stehen. Dies wird durch verschiedene Anweisungen und Vorgaben seitens Uber deutlich, wie etwa:
    • Vorgaben zum Zustand des Fahrzeugs und Verhaltensregeln gegenüber Kunden,
    • Kleidervorschriften
    • Anweisungen bezüglich der Routenführung
    • Sanktionen bei Ablehnung von Fahrten oder bei Nichtbefolgung der Vorgaben Solche Regelungen zeigen, dass Uber einen entscheidenden Einfluss auf die Arbeitsbedingungen der Fahrer hat.
  • Geolokalisierung und Bewertungssystem: Die Fahrer sind einer ständigen Überwachung durch Geolokalisierung unterworfen, sobald sie die Uber-App nutzen. Zudem existiert ein Bewertungssystem, das sowohl zur Überwachung als auch zur Kontrolle der Leistung der Fahrer dient. Uber kann auf Basis dieser Bewertungen Fahrer von der Plattform ausschliessen, was wiederum auf ein Abhängigkeitsverhältnis hinweist.
  • Eingliederung in die Arbeitsorganisation: Obwohl die Fahrer ihre Arbeitszeiten frei wählen können, sind sie dennoch in gewissem Masse in die Arbeitsorganisation von Uber eingegliedert. Dies zeigt sich beispielsweise in der Aufforderung, zu bestimmten Zeiten Fahrten zu übernehmen, und in der Möglichkeit, dass Uber bei Nichtbefolgung Sanktionen verhängen kann.
  • Persönliche Arbeitsleistung: Die Fahrer erbringen die Transportdienstleistung persönlich, was ein weiteres Merkmal eines Arbeitsvertrags darstellt.

Basierend auf dieser Gesamtbetrachtung kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass die Fahrer nicht als selbstständige Unternehmer, sondern als Angestellte von Uber zu betrachten sind, was Uber zur Einhaltung der entsprechenden arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Pflichten verpflichtet.

EU

In sei­nem Entscheidung vom 20. Dezem­ber 2017 (C-434/​15) hat der Euro­päi­sche Gerichts­hof (EuGH) bestä­tigt, dass die Ver­mitt­lung von Fahr­diens­ten zwi­schen Pri­vat­per­so­nen in deren Kraft­fahr­zeu­gen, so wie es Uber betreibt, nicht ledig­lich ein Ver­mitt­lungs­dienst, son­dern eine klas­si­sche Ver­kehrs­dienst­leis­tung ist, die gemäss den dazu beste­hen­den Rechtsvorschriften regu­liert wer­den muss. Damit wurde Uber recht­lich etwa mit gewerbsmässigen Taxi­diens­ten gleich­ge­stellt. Nach Auf­fas­sung des EuGH beruht der Ver­mitt­lungs­dienst von Uber auf der Aus­wahl nicht berufsmässiger, das eigene Fahr­zeug benut­zen­der Fah­rer und indi­vi­du­el­ler Per­so­nen, die mit­tels einer App mit­ein­an­der ver­bun­den wer­den. Ohne diese App könnte weder der Fah­rer seine Ver­kehrs­dienst­leis­tun­gen erbrin­gen noch die Per­son, die eine Fahrt im inner­städ­ti­schen Bereich unter­neh­men möchte, den Dienst in Anspruch neh­men. Uber hat damit ent­schei­den­den Ein­fluss auf die Bedin­gun­gen, unter denen diese Fah­rer die Leis­tung erbrin­gen. Dar­über hin­aus ist nach Auf­fas­sung des EuGH klar ersicht­lich, dass Uber durch die gleich­na­mige Anwen­dung zumin­dest den Höchst­preis für die Fahrt fest­setzt, dass es den Preis beim Kun­den erhebt und danach einen Teil davon an den nicht berufsmässigen Fah­rer des Fahr­zeugs über­weist. Zudem habe Uber eine gewisse Kon­trolle über die Qua­li­tät der Fahr­zeuge und deren Fah­rer, und kann diese daher auch ableh­nen. Dieser Entscheid ist zwar nicht in einer arbeitsrechtlichen Sache ergangen, dürfte aber in der EU wesentlichen Einfluss auf arbeitsrechtliche Entscheide betr. Clickworker, wie Uber-Fahrer, haben. De facto, aber auch de jure hat der EU-Gerichtshof diese als Arbeitnehmer klassifiziert.

USA

Das New York Board of Appeal traf 2019 einen wegweisenden Entscheid hinsichtlich der sozialversicherungsrechtlichen Einordnung von Uber-Fahrern. Basierend auf dem Umstand, dass Uber die Fahrer überwacht, anweist und kontrolliert, wurde Uber als Arbeitgeberin klassifiziert. Dafür spricht gemäss dem Gericht ferner, dass Uber die Beförderungspreise und die Auszahlung an die Fahrer einseitig festlegt. (BJM 2020 S. 141, 158, Kurt Pärli, Arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Aspekte der Plattformökonomie: Status Quo, Analyse und Ausblick)

Das Parlament des US-Bundesstaates Kalifornien hat 2019 ein Gesetz («gig-work bill») verabschiedet, das Clickworker, wie Uber-Fahrer, als Arbeitnehmende qualifiziert. Dieses Gesetz wurde nach einem Entscheid des California Supreme Court im Jahre 2018 erlassen. Dagegen haben sich Unternehmen, wie Uber und deren Konkurrentin Lyft mit einem Referendum («Propostion» –> Änderungsantrag) für ihre Branche gewehrt. Jenes wurde von den Stimmbürgerinnen und Stimmbürger Kaliforniens 2020 überraschend angenommen. Damit werden Clickworker von Gesetzes wegen in Kalifornien wieder als Selbständige qualifiziert. Immerhin haben sie mit dem Referendum Anspruch auf eine Verdienstgarantie, einen Zuschuss zur Gesundheitsversorgung, wenn sie genügend Stunden arbeiten, und eine gewisse Absicherung bei Arbeitsunfällen. Die Sache scheint jedoch noch nicht definitiv zu sein. Zwischenzeitlich haben sich bereits wieder kalifornische Gerichte mit der Sache befasst. To be continued …

UK

Im Februar 2021 hat der Supreme Court Grossbritanniens (UK) im Fall Uber BV v Aslam entschieden, dass Uber London nicht als Vermittler für Fahrer auftritt, sondern Verträge mit Fahrgästen abschliesst und Fahrer mit der Durchführung von Buchungen beauftragt. Der Supreme Court entschied ferner, dass Fahrer jederzeit als Arbeitnehmende angesehen werden können, wenn sie in der App innerhalb des Gebiets angemeldet sind, in dem der Fahrer eine Lizenz hat und bereit ist, Fahrten anzunehmen, trotz des Arguments von Uber, dass Fahrer nur während den Zeiten Arbeitnehmende sind, in denen sie tatsächlich Fahrgäste zu ihren Zielen fahren. (s. dazu auch Wikipedia, Uber BV v Aslam)

Frankreich

Der Cour d’appel de Paris hat in einem Entscheid vom 10. Januar 2019 betreffend Uber befunden, die Fahrer könnten ihre Fahrgäste nicht frei auswählen. Es sei vielmehr die Plattform, welche Anfragen zentralisiere und die Aufträge mittels Algorithmen den Fahrern zuteile. Hinsichtlich der Tarife entschied das Gericht, sie seien ebenfalls durch Algorithmen festgelegt. Ferner sei der Fahrer, die Fahrerin verpflichtet, einer bestimmten Route zu folgen. Darüber hinaus behalte sich die Plattform vor, Preisänderungen vorzunehmen. Im Ergebnis würden den Fahrern verbindliche Anweisungen erteilt, deren Befolgung auch kontrolliert würde. Zum Beispiel hätten die Fahrer auf GPS-Daten basierende Instruktionen zu befolgen und gewisse Konversationen mit Fahrgästen zu vermeiden. Das Gericht befand, Uber habe die Möglichkeit von Kontrollen und Sanktionen, was in einer Gesamtbetrachtung dazu führte, dass die Fahrer sich gegenüber der Plattform in einem Subordinationsverhältnis befänden. Das Gericht stellte zusammenfassend fest, eine selbständigerwerbende Person würde eine eigene Kundschaft aufbauen und die Tarife ebenso wie die übrigen Bedingungen, zu denen eine Dienstleistung angeboten wird, frei festlegen. Dies sei bei durch Uber beschäftigten Fahrern gerade nicht der Fall. (BJM 2020 S. 141, 158, Kurt Pärli, Arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Aspekte der Plattformökonomie: Status Quo, Analyse und Ausblick)

In seinem Entscheid vom 4. März 2020 in der Sache «take eat easy» wies der französische Cour de Cassation darauf hin, dass das Vorliegen eines Angestelltenverhältnisses weder vom Willen der Parteien noch von in den Verträgen verwendeten Bezeichnungen abhängt, sondern vielmehr von den tatsächlichen Umständen, unter welchen die Plattformbenutzenden ihre Arbeit ausführen. Das Gericht untersuchte, ob die «take eat easy»-Fahrer sich in einem Subordinationsverhältnis hinsichtlich Weisungen, Kontrolle und Sanktionen befanden und kam zum Schluss, dass dies der Fall sei. Der Umstand, dass die Fahrer die Anzahl und Durchführung ihrer Arbeitseinsätze sowie die entsprechenden Zeitfenster frei wählen konnten, verhinderte diese Einschätzung nicht. (BJM 2020 S. 141, 158, Kurt Pärli, Arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Aspekte der Plattformökonomie: Status Quo, Analyse und Ausblick)

Italien

Das italienische Kassationsgericht hat im Januar 2020 in einem Urteil festgelegt, dass Kuriere, die im Auftrag Pizzas und anderes zu Kunden fahren (sog. «Rider»), wie Angestellte zu behandeln seien. Ihre Arbeit werde durch den Arbeitgeber gesteuert, das heisst durch die via App übermittelten Anweisungen zu den Lieferfahrten. Basierend auf diesen Entscheid hat die Mailänder Staatsanwaltschaft nun auch Strafverfahren gegen die Auftraggeber von Pizzakurieren erhoben. (NZZ 26.02.2021 Pizzakuriere sind wie Sklaven)


Brauchen wir neues Recht für «Clickjobs»?

Auch wenn ich aktuell der Meinung bin, dass Uber irrt, wenn Uber davon ausgeht, dass Uber-Fahrer in der Schweiz auf der Grundlage von aktuellem Recht und aktueller Rechtsprechung Feelancer sind, bin ich kein Gegner von Uber und ähnlichen digitalen Geschäftsmodellen. Ich glaube auch nicht, dass Uber-Fahrer unglücklich sind. Im Gegenteil hat ein Beitrag von Radio SRF gezeigt, dass «Clickjobs» bei Leuten, die zeitlich sehr flexibel arbeiten oder sich dann und wann etwas dazuverdienen möchten, mindestens bei den Porträtierten sehr beliebt sind. Und effektiv fühlen sich diese Leute eher selbständig, als angestellt. Aus diesem Grund wird man wohl in Zukunft für Geschäftsmodelle, wie demjenigen von Uber, neues, angepasstes Recht schaffen müssen.

Das sieht im Grundsatz auch der ehemalige Schweizer Wirtschaftsminister Schneider-Amann so (https://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/unternehmen-und-konjunktur/schneiderammann-nimmt-uber-in-schutz/story/14353396). Der Schweizer Thinktank Avenir Suisse konkretisiert dies im Zusammenhang mit einer entsprechenden Studie («Wenn die Roboter kommen», www.avenir-suisse.ch/publication/wenn-die-roboter-kommen). Avenir Suisse ist in diesem Kontext der Meinung, Sozialversicherungen sollten inskünftig auch Kleinpensen und unregelmässige Arbeitsverhältnisse abdecken. Des Weiteren müssten auch die Vorschriften zur Arbeitszeiterfassung überholt und die Regelungen der Arbeitszeiten flexibler gestaltet werden (https://www.nzz.ch/wirtschaft/droht-die-robokalypse-ld.1320017).

Im Oktober 2021 hat sich der schweizerische Bundesrat gegen Änderungen des Sozialversicherungsrechts ausgesprochen. Es bestehe wegen der Plattform-Ökonomie kein Handlungsbedarf für Gesetzesänderungen, schreibt er in einem Bericht. Mehrere vom Bundesamt für Sozialversicherungen geprüfte Optionen wurden verworfen. Ein naheliegender Kompromiss wäre eine «Lex Uber». Es könnte eine Kategorie geschaffen werden, die irgendwo zwischen Selbständigkeit und Angestelltenverhältnis angesiedelt ist. Der Sozialversicherungsschutz wäre ähnlich wie bei normalen Arbeitnehmenden. Es gäbe aber keine Kündigungsfristen, Arbeitspensen oder Entschädigung für Ferien. Laut dem Bund würde ein eigener Status für die Plattform-Ökonomie aber das Gleichbehandlungsgebot verletzen. Unternehmen mit traditionellen Geschäftsmodellen wären benachteiligt. (NZZ 28.10.2021 Der Bundesrat will keine Extrawurst für Uber)

Neue Regeln für Clickworker sind aber in der Schweiz noch nicht vom politischen Tisch. Mehrere Vorstösse von Parlamentariern sind pendent (NZZ 28.10.2021 Der Bundesrat will keine Extrawurst für Uber).

Eine weitergehende Darstellung der neuen Arbeitsformen findet sich in einer Studie einer Expertengruppe der Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung: www.ta-swiss.ch/flexible-neue-arbeitswelt.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.schneiderfeldmann.legal, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch

Aktualisiert am 07. März 2024

Legal Tech – z.B. «it’s over easy»

Echte Legal Tech, die in der Schweiz unmöglich ist

Legal Technology, kurz Legal Tech?

«Legal Tech» (engl. legal = dt. rechtlich; Tech kurz für engl. Technology = dt. Technologie) steht im weiten Sinne für die Digitalisierung der Rechtsbranche, also der Anwaltskanzleien, der Rechtsabteilungen von Unternehmen und der Justiz. Dazu gehört die digitale Vorbereitung von Rechtsberatung und Rechtsprozesse durch die Klienten selbst, die Digitalisierung der Kommunikation, z.B. durch Online-Beratung, die automatisierte Erstellung von Rechtsdokumenten, wie Verträge, sogar selbsterfüllende Verträge, sogenannte Smart Contracts, digitale Tools für die Dokumenten-Analyse, z.B. im Rahmen einer Due Diligence, die vollständige Digitalisierung der Justiz, bis hin zu automatisierten Gerichtsprozessen (sic!) (s. dazu auch digilaw.ch Kapitel 14 Legal Tech).

z.B. «it’s over easy»

Ein schönes, typisch US-amerikanisches Beispiel für Legal Tech ist das Online-Tool der US-Anwältin Laura Wasser, Scheidungsanwältin der «Schönen» und vor allem «Reichen» Hollywoods, gerade aktuell Kim Kardashians, mit dem sinnigen Namen «it’s over easy». Der Service verspricht:

Der Online-Service führt scheidungswillige also ohne Juristen, ohne Gerichtsverhandlungen und vor allem ohne Ärger durch den Trennungsprozess.

Wie der Service im Detail funktioniert erklärt Rechtsanwältin Wasser gleich selbst:

Echte Legal Tech in der Schweiz unmöglich

Wäre so ein Legal Tech Tool, wie «it’s over easy», auch in der Schweiz vorstellbar? Vorstellbar schon. Ein solcher Service würde jedoch, nach meiner eigenen Erfahrung mit einem Legal-Online-Service (sic!), von der zuständigen Aufsichtsbehörde über die Rechtsanwälte/innen sogleich verboten. Nur schon wegen des Claims «No Lawyers» 😉 Im Ernst. Unser konservatives Rechtssystem mit den konservativen Köpfen ist innovationsfeindlich und dessen Digitalisierung kommt kaum vom Fleck (!). Ein Legal Tech Tool, wie «it’s over easy» ist bei uns «easily over» … Aus diesem Grund entsteht echte Legal Tech auch nicht in der Schweiz, sondern in den USA.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.schneiderfeldmann.legal, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch

Aktualisiert am 09. Mai 2022

Darf man Zoom-Sitzungen aufzeichnen?

Juristische Voraussetzungen für die Aufzeichnung von Videokonferenzen

Heute hat mir ein Student erzählt, ein Professor hätte eine digitale Prüfung, bei der die Studierenden auf Zoom anwesend waren, aufgezeichnet und er hat mich gefragt, ob dies zulässig sei. Die Frage der juristischen Voraussetzungen für die Aufzeichnung von Videokonferenzen stellt sich nicht nur an Hochschulen und Schulen, sondern auch bei Unternehmen und sogar im privaten Rahmen.

Rechtliche Grundlage: Persönlichkeits- und Datenschutzrecht

Als Individuum, egal ob Student, Schülerin oder Privatmensch steht mir nach Art. 27 des Zivilgesetzbuches (ZGB), dem Persönlichkeitsrecht, auch das Recht am eigenen Bild und der eigenen Äusserungen, ob schriftlich oder mündlich zu. Bei einem Bild (Foto, Video, Zeichnung) und meinen Äusserungen handelt es sich aber auch um personenbezogene Daten nach Art. 3 lit. a Datenschutzgesetz (DSG), die unter den Schutz des DSG fallen. Nach Art. 2 DSG gilt dieses Gesetz für das Bearbeiten von Daten natürlicher und juristischer Per­sonen durch private Personen (natürliche und juristische, als auch Unternehmen) und Bundesorgane. Auf die kantonalen Organe, d.h. auch die kantonalen Hochschulen, Schulen und die Gemeindeschulen kommen die praktisch identischen kantonalen Datenschutzgesetze zur Anwendung. Das DSG ist nicht anwendbar auf Personendaten, die eine natürliche Person ausschliesslich zum persönlichen Gebrauch bearbeitet und nicht an Aussenstehende bekannt gibt.

Einverständnis der Betroffenen

Will man eine Zoom- bzw. Videokonferenz aufzeichnen, braucht es basierend auf Persönlichkeits- und Datenschutzrecht grundsätzlich das Einverständnis jedes Teilnehmers, jeder Teilnehmerin. Bei Jugendlichen und Kinder unter 18 Jahren müssen die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten zustimmen. Problematisch ist dies jedoch da, wo Betroffene keine wirkliche Wahl haben, weil sie sich z.B. in einem Abhängigkeitsverhältnis zu demjenigen befinden, der die Aufzeichnung machen möchte, wie z.B. Mitarbeitende oder Studierende. Wenn diese nämlich eine Aufzeichnung ablehnen, drohen ihnen einschneidende Konsequenzen. In einer solchen Situation kann m.E. ein Betroffener, eine Betroffene sein bzw. ihr Einverständnis nicht geben bzw. sind Aufzeichnungen von Videokonferenzen grundsätzlich nicht zulässig (Art. 27 ZGB). Wenn man die entsprechenden Regeln des Datenschutzes hinzuzieht (Art. 13 DSG Rechtfertigungsgründe), könnte es aber sein, dass es auch in diesem Kontext zulässig ist eine Videokonferenz aufzuzeichnen, sogar gegen den Willen der Betroffenen, und zwar dann, wenn es überwiegende private oder öffentliches Inter­essen desjenigen gibt, der die Aufzeichnung machen will. Jedoch kommt dann der (auch datenschutzrechtliche) Grundsatz der Verhältnismässigkeit zur Anwendung (Art. 2 ZGB, Art. 4 Abs. 2 DSG; s. dazu auch auf www.digilaw.ch «Prinzip der Verhältnismässigkeit»), der dafür verlangt, dass eine Aufzeichnung notwendig und geeignet ist, um dieses Interesse zu erfüllen. Dies wäre z.B. dann der Fall, wenn eine Hochschule eine mündliche Online-Prüfung zur Beweissicherung aufzeichnet, weil nur eine Dozentin anwesend sein kann. Sind jedoch zwei Dozentinnen anwesend, ist eine Aufzeichnung nicht mehr notwendig. Auch nicht zulässig ist z.B. die Aufzeichnung einer schriftlichen Online-Prüfung. Ich bin zwischenzeitlich sogar der Meinung, dass es auch nicht zulässig ist von Schülerinnen und Schülern bzw. von Studierenden zu verlangen während einer Prüfung ihre Kameras einzuschalten, um zu verhindern, dass jene mit Dritten kommunizieren. Denn m.E. kann dies dadurch nicht verhindert werden. Damit ist die entsprechende Massnahme nicht geeignet und widerspricht somit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit (s. dazu vorne, aber auch nachfolgend).

Pflicht, Kamera einzuschalten?

Darf man von Schülerinnen und Schülern, Studierenden und Mitarbeitenden verlangen, dass sie bei Videokonferenzen die Kamera einschalten? M.E. ist dies nicht zulässig, weil nicht notwendig im Sinne des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit (s. dazu vorne). Damit ich mit meinen Studierenden in den Online-Vorlesungen kommunizieren kann, ist es nur notwendig, dass diese an den Zoom-Meetings teilnehmen und mindestens akustisch ansprechbar sind. Ich habe also m.E. keine juristische Handhabe meinen Studierenden vorzuschreiben ihre Kameras einzuschalten. Nichtsdestotrotz bin ich der Meinung, dass das Einschalten der Kamera zwischenzeitlich zur Best Practice in der Kommunikation in Videokonferenzen gehört. Es gibt zwischenzeitlich auch praktisch in allen Onlinekonferenz-Applikationen eine Möglichkeit ungünstige Hintergründe (Schlafzimmer, Keller) unscharf zu stellen oder durch tolle Bilder zu ersetzen.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.schneiderfeldmann.legal, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch

Aktualisiert am 11. März 2021

Pixabay – kostenlose und lizenzfreie Bilder

Seit dem 1. April 2020 (kein Scherz!) sind in der Schweiz Fotografien generell (telquel) geschützt, auch wenn sie keinen individuellen Charakter aufweisen (Art. 2 Abs. 3bis URG), also, auch wenn sie nicht besonders originell sind (s. dazu «Schnappschuss ist nun auch urheberrechtlich geschützt»). Seither nehmen Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen durch die Publikation von Fotografien tendenziell zu. Auch wenn unsere Anwaltspraxis zeigt, dass entsprechende Rechte regelmässig nicht bestehen oder nicht durchgesetzt werden (können; s. dazu «Foto-Abmahnung – Was tun?»), ist es aus juristischer Sicht ratsam, bemüht zu sein, nur Fotografien zu publizieren, deren Rechte man dafür erworben hat oder die lizenzfrei sind.

Dafür habe ich bisher insb. auf die Plattform www.istockphoto.com von iStock by Getty Images verwiesen. Zwischenzeitlich ist mir aber nun auch www.pixabay.com über den digitalen Weg gelaufen. Pixabay.com ist eine internationale Website für Fotos, Illustrationen, Vektorgrafiken und Videos mit mehr als 1,8 Millionen Medien. Diese Bilder werden von Fotografen und Grafikern der Online-Community zur kostenlosen und lizenzfreien Nutzung zur Verfügung gestellt. Pixabay.com wird von der Pixabay GmbH mit Sitz bei den Lacore Rechtsanwälte LLP in Berlin betrieben. Pixabay.com übernimmt keine Garantie, dass die hochgeladenen Bilder frei von Rechten Dritter sind. D.h. tendenziell ist ein Rückgriff gegen die Pixabay GmbH bei einer Abmahnung nicht möglich. Interessant ist jedoch diesbezüglich, dass Pixabay.com offensichtlich von iStock by Getty Images gesponsert ist. Würde es sich bei Pixabay.com um ein juristisch problematisches Angebot handeln, würde Getty Images wohl die Plattform nicht unterstützen.

Quelle: Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Pixabay


Per 30. März 2021 hat Getty Images den kanadischen Anbieter von Fotos, die von ihren Urhebern der Online-Community ebenfalls zur kostenlosen Verwendung zur Verfügung gestellt werden, Unsplash Inc., übernommen. Damit dürfte es sich auch bei Unsplash um einen entsprechenden seriösen Anbieter handeln. (s. dazu auch Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Unsplash).


Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.schneiderfeldmann.legal, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch

Aktualisiert am 30. März 2021

Corona: Kein Zutritt, keine Arbeit ohne Impfung – ist das rechtens?

«Corona» fordert nicht nur die Politiker, Virologinnen und Daten-Analysten, sondern auch die Juristinnen und Juristen. Es stellen sich ganz neue rechtliche Fragen. Ist eine Covid-19-Tracing-App zulässig? Ist eine Maskenpflicht gegen Covid-19 rechtens? Und nun die neueste juristische Herausforderung: dürften Private den Zutritt zu Restaurants und Veranstaltungen von einer Impfung gegen Corona abhängig machen? Aber auch: dürfen Arbeitgeber ihre Mitarbeitenden zur Impfung verpflichten?


Wie ein Beitrag von Radio SRF vom 17. Dezember 2020 («Kein Zutritt ohne Impfung?») zeigt, sind sich Politikerinnen und Juristen in dieser Frage nicht nur nicht einig, sie haben aktuell im Prinzip keine Ahnung, wie man diese Frage beantworten soll.


Epidemiengesetz

Der Bundesrat kann gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. d des Epidemiengesetz (EpG) bei Vorliegen einer «besonderen Lage» nach Anhörung der Kantone Impfungen bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, bei besonders exponierten Personen und bei Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären. Nach Art. 22 EpG können Kantone Impfungen von gefährdeten Bevölkerungsgruppen, von besonders exponierten Personen und von Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären, sofern eine erhebliche Gefahr besteht. Diese gesetzliche Grundlage käme z.B. bei Pflegepersonal in Spitälern und Heimen zur Anwendung. Sie bildet aber wohl keine rechtliche Grundlage für Zutrittsbeschränkungen zu Restaurants und Veranstaltungen sowie für übrige Mitarbeitende.

Vertragsfreiheit

Der im genannten Beitrag von Radio SRF interviewte Professor Roger Rudolph, Arbeitsrechtler an der Uni Zürich, meint zu einer von Privaten verlangten Impfung für den Zutritt zu Restaurants und Veranstaltungen, dass es dazu bis dato keine «rechtliche Klärung» gebe. Seiner Meinung lasse es sich aber «mindestens vertreten», dass «in einer akuten Pandemiesituation» bei Dienstleistungen, für die ein erhöhtes Ansteckungsrisiko für Dritte bestehe, private Unternehmen zur Bedingung machen könnten, dass sie «den Vertrag nur schliessen», wenn eine Impfung nachgewiesen wird. Professor Rudolph nennt jedoch dafür keine gesetzliche Grundlage. Möglicherweise hat er damit den Grundsatz der Vertragsfreiheit gemäss Obligationenrecht gemeint. Sie gibt einer Person bzw. einem Unternehmen die Freiheit, innerhalb der Schranken des Gesetzes zu entscheiden, mit wem und mit welchem Inhalt sie bzw. es einen Vertrag abschliessen will. Die Person bzw. das Unternehmen hat also auch die Freiheit, mit jemandem keinen Vertrag bzw. kein Geschäft abzuschliessen bzw. die Bedingungen dafür zu diktieren, also z.B. eben den Nachweis einer Impfung.

Weisungsrecht des Arbeitgebers

Demgegenüber hat der Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern ein Weisungsrecht (Art. 321d OR). Basierend darauf kann der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer insb. verpflichten gewisse Regeln betr. Sicherheit und Hygiene einzuhalten. Gleichzeitig muss der Arbeitgeber aber auch das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmenden respektieren (Art. 28 ZGB). Dazu gehört auch die körperliche Integrität. Ein Eingriff in diese kann aber u.a. durch ein überwiegendes privates oder ein öffentliches Interesse gerechtfertigt sein. Ein überwiegendes privates Interesse könnte z.B. bei einem Service-Unternehmen, z.B. einer Fluggesellschaft, gegeben sein, das ohne Impfung seiner Mitarbeitenden das Vertrauen seiner Kundschaft und damit diese selbst verliert. Je nach Pandemielage könnte der Arbeitgeber die Impfung auch basierend auf einem öffentlichen Interesse anordnen. Allenfalls wird er dazu sogar basierend auf entsprechende Vorschriften (z.B. bundesrätliche Verordnung basierend auf Epidemiengesetz, s. vorne) verpflichtet werden.

Bundesrat: keine Stigmatisierung

Bundesrat und Gesundheitsminister Alain Berset schränkt jedoch die Meinung von Professor Rudolph zurecht ein, in dem er im genannten Radio-Beitrag sagt, die Vertragsfreiheit gelte insbesondere im Fall des Nachweises einer Corona-Impfung nicht generell. So sei z.B. zu unterscheiden, ob eine Disco den Zutritt von einem Impfnachweis abhängig mache oder ein Lebensmittelgeschäft. Obwohl Bundesrat Berset dies nicht weiter ausführt, meint er wohl damit, dass der Eingriff beim Lebensmittelgeschäft für den Betroffenen viel einschneidender sei, als bei der Disco und damit nicht zulässig, da der Betroffene beim Lebensmittelgeschäft damit von der Beschaffung von lebensnotwendigen Gütern abgeschnitten werde und es in diesem Bereich auch nicht eine unbeschränkte Auswahl von Anbietern gebe. Zudem bemerkt Berset dann aber klar: Der Impfstatus darf keine Stigmatisierung zur Folge haben. Die Zulässigkeit von Zugangsbeschränkungen aufgrund des Impfstatus sei deshalb im Einzelfall zu prüfen, da auch Grundrechte betroffen sein können.

Interessant ist übrigens, dass die Frage der Stigmatisierung schon im Zusammenhang mit der Covid-19-Tracing-App aufgepoppt ist. Auch damals befürchtete man, Clubs und Restaurants könnten von ihren Gästen verlangen, dass sie die App heruntergeladen und aktiviert hätten. Schlussendlich ist jedoch kein solcher Fall ruchbar geworden. Beim Impfstatus scheint es jedoch wahrscheinlicher zu sein, dass es solche Fälle wirklich gibt, dürfte doch die Wirksamkeit einer Impfung allgemein anerkannter sein, als die Wirkung der SwissCovid App.

Abklärungen des Bundesamtes für Justiz

Immerhin erklärt Bundesrätin und Justizministerin Karin Keller-Sutter im genannten Beitrag von Radio SRF, dass sie die Frage der Zulässigkeit von Zugangsbeschränkungen ohne Impfnachweis dem Bundesamt für Justiz zur Abklärung vorgelegt hätte.

Da der Widerstand gegen Impfung als Bedingung bzw. angeordnete Impfungen im Rahmen des Weisungsrechts bereits absehbar ist, ist eine juristische Klärung dieser heiklen Fragen dringend notwendig.

Eidg. Datenschutzbeauftragter: Verstoss gegen DSG

In einem Interview im «Blick» vom 28. Dezember 2020 vertritt der Eidg. Datenschutzbeauftragte (EDÖB), Adrian Lobsiger, die Meinung, dass das EpG (s . vorne) die Corona-Impfung klar als freiwillig taxiere. Private Unternehmen sollen nicht eigenmächtig verlangen, dass alle Kunden ein Smartphone mit Gesundheitsdaten, wie zum Beispiel einen digitalen Impfausweis, vorweisen – etwa um in einen Betrieb zu gelangen. Anders wäre es, wenn der Gesetzgeber bestimme, dass niemand in ein Flugzeug oder in ein Restaurant ohne Impfausweis komme. Dann sei dies ein politischer Entscheid. So sei es aber aktuell nicht. Eine Impfausweispflicht bei einer Fluggesellschaft oder in einem Restaurant würde ohne gesetzliche Grundlage gegen das Datenschutzgesetz (DSG) verstossen. Die Bürger dürften nicht einer Beschaffung und Bearbeitung von Gesundheitsdaten durch andere Bürger ausgesetzt werden. Umso wichtiger sei es deshalb, dass der Staat regelt, welche Impf- oder Testdaten private Unternehmen wie bearbeiten sollen. Er habe empfohlen, die Regulierung einzuleiten.

Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin

Gemäss einem Artikel in der NZZ vom 18. Februar 2021 vertritt die Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin NEK den Standpunkt, dass sowohl die Aufhebung gewisser Einschränkungen für geimpfte Personen als auch das Verlangen einer Impfbescheinigung für einzelne Aktivitäten des täglichen Lebens zu rechtfertigen seien. Dafür müssten allerdings gewisse Bedingungen erfüllt sein: Die Impfung müsste nicht nur vor einer Erkrankung schützen, sondern auch die Übertragung verhindern. Ausserdem müssten alle Impfwilligen Zugang zur Impfung haben. Die Ethikkommission hält die Privilegierung zudem nur in gewissen Situationen für zulässig. So könnten immune Personen der Quarantänepflicht entgehen und müssten sich nicht an die geltenden Obergrenzen für Gruppengrössen halten. Auch für Fluggesellschaften sei es legitim, einen Impfnachweis zu verlangen, zumal es namentlich bei langen Flügen schwierig sei, ein «ausreichend sicheres Umfeld für alle Reisenden zu gewährleisten». Nicht verhältnismässig ist es laut der Kommission hingegen, Ungeimpften den Zugang zu Theatern oder Kinos, Konzerten oder Sportveranstaltungen zu verwehren. Denn bei solchen Veranstaltungen sei es möglich, durch geringere Einschränkungen eine sichere Situation für alle Besucher zu schaffen – etwa durch die Maskenpflicht und das Einhalten des Abstands. Somit könnten sich z.B. private Veranstalter nicht einfach auf die Vertragsfreiheit berufen (s. dazu vorne). Die Ethikkommission empfiehlt deshalb nachdrücklich, die offenen Fragen rund um den Impfnachweis explizit zu regeln.


Dieser Beitrag ist ein «Work in Progress». Sobald sich in den juristischen Fragen rund um Zugangsbeschränkungen ohne Impfung Neuerungen ergeben, werde ich sie hier wieder publizieren.


Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.schneiderfeldmann.legal, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch

Aktualisiert am 13. Mai 2021

EU verschärft Regeln für digitale Services und digitalen Markt

Ueli Grüter zu den neuen EU-Regeln in der Tagesschau von SRF 15.12.2020

Nach den harten Auseinandersetzungen von EU-Wettbewerbskommissarin und EU-Kommission-Vizepräsidentin Margrethe Vestager («Schrecken des Silicon Valley») mit den US-amerikanischen Tech-Giganten (u.a. Google, Apple, Facebook und Amazon, zusammen kurz auch als «Gafa» bezeichnet) mit Bussen in Milliardenhöhe (s. Kartellrecht – Big Players sind Opfer ihres eigenen Erfolgs) geht es nun um einen erneuten «Hoselupf» der EU-Kommission mit den Big Player der digitalen Welt.


«Es wird sich jetzt zeigen, wer die Regeln setzt und wer sie durchsetzt.»
Ueli Grüter in der Tagesschau von SRF vom 15.12.2020


Die über 20-jährigen Regeln der EU-E-Commerce-Richtlinie werden mit dem Digital Services Act (DSA) und dem Digital Markets Act (DMA) den enormen Entwicklungen bei den digitalen Dienstleistungen und in den digitalen Märkten angepasst. Illegale Praktiken und Informationen sollen von den digitalen Services und Märkten ferngehalten werden. Zudem soll ein fairer Zugang aller Anbieter bei den digitalen Services und Märkten gewährleistet werden.

Bedeutung für Unternehmen

Grundsätzlich gelten die neuen Regeln natürlich für alle Anbieter in der EU. Faktisch will aber die EU-Kommission insbesondere die Big Player der digitalen Welt «Gafa» (s. vorne) dazu zwingen, pro-aktiv die Ziele des neuen Regel-Pakets umzusetzen. Tun sie es nicht, drohen ihnen ähnlich drastische Strafen, wie sie bereits aus dem EU-Kartell- und Datenschutzrecht bekannt sind. Jene gehen für die Grossen in die Milliarden. Mit den neuen Regeln droht ihnen bei besonderer Renitenz sogar der Ausschluss aus dem Markt.

Bedeutung für Konsumentinnen und Konsumenten

Wie schon durch das EU-Kartell- und Datenschutzrecht werden nun auch durch die neuen Regeln für die digitalen Services und Märkte die Rechte der Konsumentinnen und Konsumenten gestärkt.

Bedeutung für die Schweiz

Auch wenn unser Land nicht Mitglied der EU ist, sind die neuen Regeln für digitale Services und digitale Märkte auch für die Schweiz in dreifacher Hinsicht von Bedeutung. Erstens müssen sich natürlich auch Schweizer Unternehmen, wenn sie in der EU tätig sind, an diese neuen Regeln halten. Zweitens werden insbesondere die Big Player sich auch in Bezug auf die Schweiz an dieselben Regeln halten. Die Schweiz gehört für diese zur «Europäischen Region» und es lohnt sich für sie nicht, für die Schweiz eigene Regeln zu definieren und anzuwenden (s. dazu WhatsApp-Mindestalter 16 gilt auch für Schweiz). Drittens hat neues EU-Recht immer auch eine Reflexwirkung auf das schweizerische Recht. Dies hat man gerade jüngst im Datenschutz gesehen, in dem das schweizerische Recht an die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) angepasst hat. Da hat man aber auch gesehen, dass die Schweiz in der Regel weniger weit geht, als die EU, z.B. bei den Bussen.

Ueli Grüter, LL.M., Rechtsanwalt, Hochschuldozent, www.schneiderfeldmann.legal, www.hslu.ch, https://twitter.com/juristenfutter, https://www.linkedin.com/in/ueli-grueter, www.digilaw.ch

Aktualisiert am 25. Februar 2021